Die Notaufnahme ist die erste Anlaufstelle für Menschen mit akuten Erkrankungen oder Verletzungen. Ob die eigene Erkrankung ein Fall für die Notaufnahme ist oder es sich lediglich um eine Bagatelle handelt, ist – für jeden selbst – schwierig einzuschätzen. „Ein Notfall ist sowohl für den Betroffenen als auch für die Angehörigen immer eine Extremsituation“, weiß Priv.-Doz. Dr. med. Jörg Brokmann, Leiter der Zentralen Notaufnahme an der Uniklinik RWTH Aachen. „Deswegen ist die Wahrnehmung bei einem Notfall in der Regel höchst subjektiv: ‚Mir geht es nicht gut, mir soll schnellstmöglich geholfen werden!‘“
Triagieren: Wem geht es besonders schlecht?
Die persönlich empfundene Behandlungsdringlichkeit muss allerdings nicht in Einklang mit der objektiven Dringlichkeitseinstufung in der Notaufnahme stehen. Manchester-Triage-System heißt das standardisierte, international anerkannte Verfahren zur Ersteinschätzung von Notfallpatienten, das auch in der Zentralen Notaufnahme der Uniklinik RWTH Aachen Anwendung findet. „Wenn sich ein neuer Patient in der Notaufnahme vorstellt, meldet er sich zunächst beim Patientenmanagement an. Hier werden die wichtigsten Daten aufgenommen. Dann beurteilt eine speziell geschulte Mitarbeiterin anhand des Manchester-Triage-Systems je nach Symptomen die Dringlichkeit der Behandlung. Man kann sich dieses Verfahren als eine Art Patienten-Ampel vorstellen“, erklärt Dr. Brokmann. Notfallpatienten werden danach in eine der fünf Stufen eingeteilt, anhand derer sich die maximale Wartezeit bis zu einem ersten Kontakt bemisst:
- Stufe 1 (rot): sofort
- Stufe 2 (orange): 10 Minuten
- Stufe 3 (gelb): 30 Minuten
- Stufe 4 (grün): 90 Minuten
- Stufe 5 (blau): 120 Minuten
Wann in die Notaufnahme?
Natürlich kommt niemand zum Spaß in eine Notaufnahme. Aber die große Prozentzahl an Patienten mit niedriger Dringlichkeit legt nahe, dass viele Menschen Notfallambulanzen auch bei kleineren Verletzungen ohne dringlichen notfallmedizinischen Bedarf ansteuern. Und wer kennt sie nicht, die Meldungen aus Funk und Fernsehen über bundesweit überfüllte Notaufnahmen?
Die Zentrale Notaufnahme der Uniklinik RWTH Aachen ist mit mehr als 56.000 Patienten pro Jahr eine sehr stark frequentierte Notaufnahme. Rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr erfahren Patienten mit Krankheiten oder Verletzungen jeglicher Art hier eine professionelle Notfallversorgung. Die Notaufnahme meldet ihre Behandlungskapazitäten mehrfach täglich der regionalen Rettungsleitstelle. Auch wenn die Behandlungskapazitäten erschöpft sind, ist sie zur Erstversorgung verpflichtet, weshalb sie sich auch nie „abmeldet“. „Zur Erstversorgung sind wir nicht nur gesetzlich verpflichtet, sondern jeder Mitarbeiter fühlt sich auch dazu verpflichtet“, so Dr. Brokmann.
„Man darf den Besuch in der Notaufnahme nicht als Freizeitbeschäftigung begreifen, die sich am Wochenende oder abends besser in den Alltag einbauen lässt als ein Besuch zu den regulären Sprechzeiten unter der Woche beim Haus- oder Facharzt“, so der Notfallmediziner. „Die Notaufnahme ist eine Anlaufstelle für Menschen, deren Leib und Leben akut bedroht ist.“ Dazu gehören unter anderem Verletzte nach Unfällen, Schlaganfall- und Herzinfarktpatienten, Vergiftungsfälle und Patienten mit akuten Schmerzen oder anderen bedrohlichen Symptomen unklarer Herkunft.
Wer die Notaufnahme für medizinische Anliegen „missbraucht“, die eigentlich gar kein Notfall sind, erschwert unter Umständen die Versorgung „echter“ Notfälle. Das heißt: Wer seit Wochen unter dem verdrehten Knie oder einer hartnäckigen Erkältung leidet, sollte einmal mehr überlegen: Hat mein Anliegen Zeit, bis die Arztpraxis wieder öffnet? Oder stellt der kassenärztliche Notdienst (Telefon: 116 117) eine sinnvolle Alternative dar? Dieser hilft Patienten telefonisch, ihre gesundheitliche Lage einzuschätzen. „Bei einer Bedrohung von Leib und Leben gilt aber natürlich: Sofort den Notruf 112 wählen und eine Notaufnahme ansteuern, entweder eigenständig oder am besten mit dem Rettungsdienst!“, sagt Dr. Brokmann.
Verständnis ist angesagt
Der Notfallmediziner bittet um Verständnis, wenn Patientinnen und Patienten ohne lebensbedrohliche Symptome bei Ankunft in der Notaufnahme gegebenenfalls etwas länger warten müssen. „Oberstes Prinzip der Notfallversorgung ist es, die Patienten nach Dringlichkeit und nicht nach der Reihenfolge ihres Eintreffens zu behandeln“, betont Dr. Brokmann. „First come, first serve“ gilt hier also nicht. „Wenn Sie eine gewisse Zeit warten müssen, dann nur deshalb, weil es jemanden gibt, dem es schlechter geht als Ihnen.“
Wann kommt der Notarzt?
- Schwerer Verkehrsunfall mit Hinweis auf Verletzte
- Sonstiger Unfall mit Schwerverletzten
- Unfall mit Kindern
- Brände/Rauchgasentwicklung mit Hinweis auf Personenbeteiligung
- Explosionsunfälle mit Hinweis auf Personenbeteiligung
- Thermische oder chemische Unfälle mit Hinweis auf Personenbeteiligung
- Strom- oder Blitzunfälle
- Ertrinkungs- oder Tauchunfälle oder Eiseinbruch
- Einklemmung oder Verschüttung
- Drohender Suizid
- Sturz aus Höhe (≥ 3 m)
- Schuss-/Stich-/Hiebverletzungen im Kopf-, Hals- oder Rumpfbereich
- Geiselnahme
- Amoklage oder sonstige Verbrechen mit unmittelbarer Gefahr für Menschenleben
- Unmittelbar einsetzende oder stattgefundene Geburt
- Vergiftungen mit vitaler Gefährdung