Akutes Atemnotsyndrom – mehr als nur eine Folge von Corona

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Akutes Lungenversagen, Atemnotsyndrom, Schocklunge – das alles sind Umschreibungen für das akute Atemnotsyndrom (ARDS). Im Laufe der Corona-Pandemie gewann diese seltene, aber lebensbedrohliche Komplikation einer COVID-19-Infektion in der Öffentlichkeit an Bedeutung. Um was handelt es sich dabei aber? Und warum betrifft uns ARDS heute immer noch?

Hinter dem Kürzel „ARDS“ steht der englische Fachbegriff „Acute Respiratory Distress Syndrome“, zu Deutsch „akutes Atemnotsyndrom“. Es beschreibt keine „klassische“ Lungenkrankheit, sondern eher die Folge oder Komplikation einer Vorerkrankung oder einer akuten Schädigung der Lunge. Mit einer jährlichen Inzidenz von etwa 7 zu 100.000 Einwohnern ist die Neuerkrankungsrate relativ gering, die Sterblichkeit in etwa 55 bis 70 Prozent der Fälle jedoch sehr hoch. Für den Verlauf und die Prognose entscheidend sind die Faktoren: Zeitpunkt der Diagnose, Alter des Betroffenen, Ursache des ARDS, Vorliegen von Begleiterkrankungen und die Behandlungskompetenz des jeweiligen Krankenhauses bzw. dessen personelle und medizintechnische Infrastruktur.

Ursachen und Symptomatik
Vereinfacht gesagt kommt es zu einem ARDS, wenn die Lungenbläschen in den Abzweigungen der Bronchien und Blutgefäße in der Lunge derart geschädigt werden, dass sich Flüssigkeit und Blut in Zwischenräumen des Lungengewebes ansammeln. Es kommt zu einem Lungenödem und einem Kollabieren der Zellen; der Betroffene verspürt eine akute Atemnot. Ursachen dafür sind vielfältig und komplex. Medizinerinnen und Mediziner unterscheiden grundsätzlich zwischen pulmonalen (die Lunge betreffenden) und systemischen (den gesamten Organismus betreffenden) Auslösern. Häufigste pulmonale Ursache ist eine Lungenentzündung. Lungenquetschungen als Folge eines Unfalls, Fettembolien, Inhalationstraumata (Rauchvergiftung, Einatmen giftiger Gase), das Einatmen von Mageninhalt oder Wasser, Fremdkörper in den Atemwegen oder Fruchtwasserembolien sind weitere pulmonale Ursachen.

Zu den systemischen Ursachen zählen: Infektionskrankheiten (z. B. COVID-19, Influenza), Blutvergiftung (Sepsis), Polytraumata (Mehrfachverletzung verschiedener Körper- oder Organregionen), Verbrennungen, Entzündung der Bauchspeicheldrüse, Stoffwechselerkrankungen, bestimmte Medikamente, Gifte oder Drogenmissbrauch – um nur einige der vielfältigen systemischen Ursachen zu nennen.

Ein akutes Lungenversagen tritt in der Regel innerhalb der ersten ein bis zwei Tage nach einem pulmonalen oder systemischen Ereignis auf, wobei sich die Symptome im Laufe der ersten sieben Tage verändern oder verschlimmern können. Wie der Name schon verrät, verspüren alle Betroffenen als erstes beziehungsweise deutlichstes Symptom eine Atemnot. Diese wird häufig von einer schnellen, flachen Atmung, Schwindel, Zittern, Herzrasen, Erschöpfungszuständen, Rasselgeräuschen der Lunge und durch die Sauerstoffunterversorgung bedingten blass-weißlichen, gräulichen oder bläulichen Verfärbungen der Haut (in Abhängigkeit der jeweiligen Hautfarbe) sowie Verwirrtheitszuständen begleitet.

Diagnostik
Da die Diagnose eines ARDS komplex ist, bietet die sogenannte Berlin-Definition eine Orientierung für Ärztinnen und Ärzte. In dieser Definition ist das klinische, radiologische, atemmechanische sowie laborchemische Vorgehen beschrieben. Durch die Anamnese und weitere klinische Methoden erfahren Behandelnde, in welchem Zeitraum sich die Symptome ergeben haben. Das Eintreten von Symptomen innerhalb der ersten 48 Stunden nach einem bestimmten Ereignis oder eine Verschlechterung beziehungsweise Zunahme der Symptome innerhalb der ersten sieben Tage spricht für ein ARDS.

Per Röntgen oder CT-Untersuchung lassen sich Infiltrate im Brustkorb erkennen. Als Infiltrate bezeichnen Fachleute Verschattungen oder Verdichtungen von Gewebe, die sich infolge von Flüssigkeitsansammlungen oder Fibrosierungen (strukturelle Gewebeveränderungen, insbesondere Vernarbungen) bilden und über bildgebende Verfahren sichtbar werden.

Ist die Lunge geschädigt, versucht der Körper über eine verstärkte Atemarbeit noch genügend Sauerstoff aufzunehmen. Irgendwann ist die Atemanstrengung jedoch so groß, dass die Atemmechanik erschöpft. In diesem Fall müssen Betroffene zusätzlichen Sauerstoff zugeführt bekommen oder sogar beatmet werden.

Ein weiterer Diagnose-Aspekt ist die Erhebung der Blutwerte über laborchemische Verfahren. Aus speziellen Blutwerten, die die Sauerstoffsättigung des Blutes angeben, wird der sogenannte Horovitz-Quotient ermittelt. Nach diesem Quotienten ergibt sich der Schweregrad des ARDS (mild, moderat, schwer). Darüber hinaus müssen Ärztinnen und Ärzte andere Ursachen für die Atemnot und Begleitsymptome, beispielsweise Probleme mit dem Herzen, ausschließen.

Therapie
Liegt ein akutes Lungenversagen vor, ist Eile geboten. Die Lungentätigkeit nimmt stetig ab, wodurch Lebensgefahr besteht. In der Regel benötigt jeder Patient und jede Patientin eine intensivmedizinische Behandlung im Krankenhaus. Medikamente dagegen gibt es nicht; lediglich mögliche Vor- oder Begleiterkrankungen können medikamentös behandelt werden.

Die zwei wichtigsten und unerlässlichen Maßnahmen bei einem ARDS sind die Beatmung und die Bauchlage. Die maschinelle Beatmung erfolgt immer lungenprotektiv, also schonend. Die Maschine arbeitet dann mit so wenig Druck wie möglich, aber mit so viel wie nötig, um Schädigungen der Lunge, zum Beispiel eine Lungenentzündung, durch die Beatmung selbst zu vermeiden. Zudem trägt die Beatmung in Bauchlage dazu bei, dass sich der Sauerstoff und der Beatmungsdruck gleichmäßiger im Körper verteilen, was zu einer Verbesserung des pulmonalen Gasaustausches führt.

In sehr schweren Fällen kommt die ECMO („extrakorporale Membran-Oxygenierung“) zum Einsatz. Hier wird sauerstoffarmes Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff angereichert und in den Blutkreislauf zurückgeführt. Dieses Verfahren ist sehr komplex und bedarf viel Erfahrung, daher ist nicht jedes Krankenhaus in der Lage, das akute Atemnotsyndrom (mittels ECMO) zu therapieren.

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