Erinnern Sie sich an Ihren letzten Besuch bei Ihrer Zahnärztin oder Ihrem Zahnarzt des Vertrauens? Möglicherweise wurde eine Abformmasse in Ihre Mundhöhle eingebracht, die mit einem faden Geschmack und möglichem Würgereiz verbunden war. Ziel einer Abformung ist es, ein möglichst genaues Abbild der Mundhöhle zu erschaffen. Die konventionellen Abformungen werden mit Gips ausgegossen und helfen bei der Analyse oder dienen als Grundlage zur Herstellung von Zahnersatz. Computergestützte Zahnmedizin vereinfacht diesen Prozess. Was sie kann und wie sie bei der zahnärztlichen Behandlung zum Einsatz kommt, erklärt apropos.
Digitale Prozesse und Verfahren sind aus so gut wie keinem Fachbereich mehr wegzudenken; das trifft auch auf die Medizin zu. Viele Behandlungsschritte verlagern sich durch die Digitalisierung aus der analogen Welt auf die Bildschirme. Vor allem in der zahnärztlichen Behandlung sowie der zahntechnischen Fertigung bieten computergestützte Techniken genaue und vereinfachte Therapie- und Diagnostikansätze für Patientinnen und Patienten sowie das ärztliche Personal. Aber wie sinnvoll ist es beispielweise, die klassische Vorgehensweise der Abformung mittels Abformlöffel durch digitale Prozesse zu ersetzen? Genau dies ist ein Themenschwerpunkt, mit dem sich das Team des Lehr- und Forschungsgebiets Computergestützte Zahnmedizin an der Uniklinik RWTH Aachen beschäftigt.
Digitale Zahnabformungen
Mittlerweile ist es möglich, die Zahnreihen von Patientinnen und Patienten sehr schnell und einfach mithilfe von Intraoralscannern zu erfassen und diese Daten anschließend in Echtzeit in ein dreidimensionales Farbmodell am Computerbildschirm zu überführen. Diese Verfahren funktionieren lichtoptisch. Dabei ist die Genauigkeit, bezogen auf Kieferteilabschnitte, der konventionellen Technik ebenbürtig. Wirft man den Blick auf den gesamten Zahnbogen, sind die Ergebnisse allerdings noch uneinheitlich. Strukturlose, unbezahnte Areale, schmale, enge Strukturen und auch die Übergänge von beweglichen zu unbeweglichen Mundschleimhautarealen können Intraoralscannern Probleme bereiten. Doch welche Vorteile bietet die digitale intraorale Abformung gegenüber der konventionellen Technik bereits jetzt? „Viele unserer Patientinnen und Patienten empfinden das ‚Abfahren‘ der Zahnreihen mit dem Scankopf eines Intraoralscanners als wesentlich angenehmer als die klassische Abformung. Sie erfragen allerdings auch, ob sich neben diesem offensichtlichen Mehrkomfort durch die digitale Technik gleiche oder sogar bessere Ergebnisse hinsichtlich der zahnärztlichen Versorgung erzielen lassen. Hier können wir festhalten: Die Echtzeitdarstellung der aufgenommenen Areale ist nicht nur Selbstzweck für das Patientenmarketing. Mithilfe der digitalen Abformung lässt sich die aufgenommene Mundsituation sofort beurteilen und die am Monitor dargestellten Strukturen lassen sich modifizieren. So können fehlerhafte Areale bei vielen Systemen entfernt und nachgescannt werden, was zu einer deutlichen Qualitätsverbesserung führt. Diagnostische Fragestellungen lassen sich sofort beantworten und visualisieren. Einige Systeme eröffnen auch die Möglichkeit, bei bestimmten Zahnarealen eine röntgenstrahlungsfreie Kariesdiagnostik durchzuführen. Außerdem können wir den erstellten Datensatz mit vorherigen dreidimensionalen Darstellungen überlagern und auf diese Weise analysieren, ob die Patientin oder der Patient an Zahnfleischrückgang oder an übermäßigem Zahnverschleiß durch Zähneknirschen leidet“, erklärt Univ.-Prof. Dr. med. dent. Sven Reich, Leiter des Lehr- und Forschungsgebietes Computergestützte Zahnmedizin der Klinik für Zahnärztliche Prothetik und Biomaterialien, Zentrum für Implantologie an der Uniklinik RWTH Aachen. Durch das computergenerierte Zahnmodell können er und sein Team Patientinnen und Patienten in nur einer Behandlungssitzung mit Restaurationen von der keramischen Einlagefüllung bis hin zu kleinen Brücken versorgen. In diesem Fall lässt sich ein provisorischer Zahnersatz vermeiden und die behandelten Zähne sind sofort geschützt. „Auch beim Einsetzen von Zahnimplantaten ist unter entsprechenden Voraussetzungen eine provisorische Sofortversorgung unmittelbar am OP-Tag möglich. Dies ist vor allem im sichtbaren Zahnbogen sinnvoll. Voraussetzung hierfür ist, dass die gesamte Prozesskette digitalisiert ist. Der Zahnersatz wird am Computerbildschirm entworfen. Den so erstellten digitalen Bauplan setzen wir dann in die Realität um, indem der Zahnersatz mit einer computergesteuerten Maschine entweder aus einem Block herausgearbeitet oder in Zukunft im 3D-Druck aufgebaut wird“, führt der Experte aus.
Sicherheit und Genauigkeit
Steht die zahnärztliche Versorgung mit dentalen Implantaten, also mit künstlichen Zahnwurzeln aus Titan oder Keramik an, ist insbesondere bei noch vorhandenen Restzähnen die digitale Positionsplanung der konventionellen Behandlungsplanung überlegen. „Zunächst simulieren wir basierend auf der digitalen Abformung den zukünftigen möglichst idealen Zahnersatz. Für die Planung der Implantate ist dann die Fusion der digitalen Mundhöhlenabformung mit den dazugehörigen dreidimensionalen Röntgenbildern notwendig. So ist es uns möglich, die Implantate in Relation zu den Knochenstrukturen und in Bezug zum zukünftigen Zahnersatz zu planen. Dies ist vor allem auch in der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen chirurgisch und prothetisch tätigen Kolleginnen und Kollegen immens wichtig. Folgeschritt der Behandlungsplanung beinhaltet dann eine Bohrschablone, die dem Operateur die Richtung und Tiefe der Implantatbohrungen vorgibt, die vor dem Einbringen der Implantate in den Knochen notwendig sind“, so Prof. Reich.
Ein Blick in die Zukunft
Während die Fusion von dreidimensionalen Röntgenbildern und intraoralen dreidimensionalen Datensätzen in vielen Fällen bereits Standard ist, steckt die Kombination von Intraoralscans mit dreidimensionalen Gesichtsbildern, sogenannten Facescans, noch in den Kinderschuhen. „Die Digitalisierung in der Zahnmedizin wird weiter voranschreiten. Durch die zukünftige Kombination mit anderen digitalen Analysesystemen, die zum Beispiel Kieferbewegungen oder Muskelaktivitäten aufzeichnen, kann ein immer wirklichkeitsgetreueres virtuelles Abbild der realen Patientinnen und Patienten erstellt werden. Maßgeschneiderten, individualisierten Analysen und Therapiekonzepten steht dann nichts mehr im Wege“, fasst der Leiter des Lehr- und Forschungsgebietes Computergestützte Zahnmedizin zusammen.