Es gibt Fachgebiete in der Medizin, die uns auf den ersten Blick nicht unbedingt geläufig sind. Sie klingen nach lateinischen Fachbegriffen und sterilen Operationssälen. Die Thoraxchirurgie ist vermutlich eines davon. Sie beschäftigt sich mit den Erkrankungen und Verletzungen der Organe im Inneren des Brustkorbs. Im Interview erklärt Dr. med. Sebastian Kalverkamp, Stellvertretender Direktor der Klinik für Thoraxchirurgie (Direktor: Univ.-Prof. Dr. med. Jan Wilhelm Spillner) an der Uniklinik RWTH Aachen, was das genau bedeutet.
Auf welche Körperregion bezieht sich die Thoraxchirurgie?
Dr. Kalverkamp: Der Brustkorb, im Fachjargon auch Thorax genannt, ist der obere Teil des Rumpfes. Umgangssprachlich wird manchmal auch nur von der Brust gesprochen, wenn auch mehr damit gemeint ist als die von außen sichtbaren Weichteile der weiblichen oder männlichen Brust. Er dient als Schutzhülle für die Organe der Brusthöhle – also für die Lunge, das Herz, die Speiseröhre und die großen Blutgefäße.
Das Zwerchfell grenzt diese Organe dann von der Bauchhöhle ab. Die Thoraxchirurgie konzentriert sich deshalb auf die Untersuchung und Behandlung von Erkrankungen des Brustkorbs, der Lunge und des
Mittelfellraums – mit Ausnahme des Herzens und der Hauptschlagader.
Was macht die Thoraxchirurgie so besonders?
Dr. Kalverkamp: Im Brustkorb liegt alles eng beieinander, dadurch kann ein chirurgischer Eingriff vor allem anatomisch herausfordernd sein. Die Lunge zum Beispiel ist sehr sensibel und reagiert bereits auf kleinste Eingriffe. Große Blutgefäße wie die Hauptschlagader oder die Hohlvene verlaufen gleichzeitig nur ein paar Millimeter von der Operationsstelle entfernt. Jeder Eingriff im Brustkorb erfordert daher nicht nur chirurgisches Geschick, sondern auch eine präzise Planung.
Gibt es bestimmte Krankheitsbilder, die besonders häufig auftreten?
Dr. Kalverkamp: Unser Fokus liegt auf der Diagnostik und Therapie von Erkrankungen, die die Organe und
Strukturen im Brustkorb betreffen. Das reicht von gutartigen Tumoren, Lungenentzündungen oder -emphysemen über Zysten bis hin zu Verletzungen durch traumatische Ereignisse oder Unfälle. Apropos: Die Thoraxchirurgie stellt auch eine wichtige Säule in der Behandlung von Lungenkrebs dar. Symptome
wie Atemnot, Schmerzen im Brustkorb oder anhaltender Husten treten oft erst im fortgeschrittenen Stadium auf, weshalb viele Menschen nicht wissen, dass sie an Lungenkrebs erkrankt sind. Das Therapieverfahren richtet sich dann vor allem nach dem Tumortyp. In Abhängigkeit vom Krankheitsverlauf
können operative Eingriffe, Chemotherapien, Bestrahlungen oder zielgerichtete immuntherapeutische
Behandlungen zum Einsatz kommen. Wichtig ist hier die Zusammenarbeit im Team – jede Entscheidung wird interdisziplinär besprochen und individuell mit der Patientin oder dem Patienten abgestimmt.
Wie sieht ein Eingriff im Brustkorb aus?
Dr. Kalverkamp: Neben den klassischen offenen Operationen profitiert die Thoraxchirurgie auch von den überwiegend angewendeten sogenannten minimalinvasiven Verfahren und hier insbesondere den roboterassistierten Operationsverfahren. Dadurch können wir durch kleinste Hautschnitte in den Brustraum eindringen und unter Videokontrolle mit sehr feinen Instrumenten operieren. Diese sogenannte
Schlüssellochchirurgie ist für die Patientinnen und Patienten schonender, verursacht weniger Schmerzen und trägt zu einer schnelleren Erholung und Genesung bei.
Was möchten Sie den Leserinnen und Lesern noch mit auf den Weg geben?
Dr. Kalverkamp: Wenn Sie ungewöhnliche Symptome oder Schmerzen im Brustkorb feststellen, holen Sie sich ärztlichen Rat ein. Gerade bei Erkrankungen der Lunge ist eine frühzeitige Abklärung wichtig.
Nehmen Sie Symptome wie anhaltenden Husten, Atemnot oder Schmerzen nicht auf die leichte Schulter und lassen Sie sich untersuchen. Wie bei so vielen Erkrankungen gilt: Je früher sie erkannt wird, desto besser stehen die Chancen einer erfolgreichen Behandlung.
Segmentresektion und 3D-Rekonstruktion der Lunge
Bei Lungenkrebs wurde früher oft der gesamte betroffene Lungenlappen entfernt. Heutzutage kann man mit der Segmentresektion nur das erkrankte Segment entfernen, während der gesunde Teil der Lunge erhalten bleibt. Moderne bildgebende Verfahren unterstützen dabei, die individuelle Lungenanatomie zu erfassen. Die Chirurginnen und Chirurgen können unter anderem mithilfe der Computertomographie ein virtuelles 3D-Modell der Lunge erstellen, das die individuelle Anatomie der Patientinnen und Patienten abbildet. Es zeigt dann zum Beispiel die Lage des Tumors, die Atemwege oder den Verlauf der Gefäße. Dadurch lässt sich der Eingriff bereits im Vorfeld simulieren und planen. Das Team rund um Klinikdirektor Univ.-Prof. Dr. med. Jan Wilhelm Spillner berät Sie gern.
Dr. med. Sebastian Kalverkamp ist Facharzt für Thoraxchirurgie und stellvertretender Direktor der Klinik für Thoraxchirurgie an der Uniklinik RWTH Aachen. Die eigenständige Klinik für Thoraxchirurgie unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. med. Jan Wilhelm Spillner komplementiert das interdisziplinäre Behandlungsangebot der Uniklinik RWTH Aachen und gewährleistet regional und überregional eine optimale Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Erkrankungen der Lunge sowie des Brustkorbs.