Pro Jahr erkranken in Deutschland fast 500.000 Menschen neu an Krebs. Krebs kann völlig unterschiedliche Ursachen haben, der Verlauf der Erkrankung variiert von Patient zu Patient stark. Die personalisierte Krebsmedizin ist ein neuer wegweisender Ansatz bei der Behandlung dieser Krankheit. Das Team um Univ.-Prof. Dr. med. Tim H. Brümmendorf, Leiter des Centrums für Integrierte Onkologie (CIO Aachen) an der Uniklinik RWTH Aachen, bietet Patienten mit einer bösartigen Erkrankung eine fachübergreifende, interdisziplinäre und umfassende Versorgung.
Herr Prof. Brümmendorf, was genau versteht man unter dem Begriff „Personalisierte Krebsmedizin“?
Prof. Brümmendorf: Krebserkrankungen sind komplex und individuell verschieden. Personalisierte Krebsmedizin steht für individualisierte Behandlungen und Therapien, die gezielt den Bedürfnissen der einzelnen Patienten angepasst sind. Individuell insofern, als schon lange bekannt ist, dass gleiche Krankheiten bei verschiedenen Patienten sehr unterschiedlich verlaufen können. Das liegt zum einen daran, dass aufgrund ihrer molekularen Verschiedenartigkeit nicht alle Tumorerkrankungen gleich auf eine Therapie reagieren, andererseits aber auch nicht alle Patienten zum Beispiel wegen Begleiterkrankungen für alle Therapieangebote geeignet sind, beziehungsweise diese annehmen möchten. Ziel der personalisierten Krebsmedizin ist, dass jede Patientin und jeder Patient zu jedem Zeitpunkt die auf ihre oder seine Erkrankungssituation bestmöglich abgestimmte, idealerweise molekular zielgerichtete Therapie erhält.
Bei welchen Krankheitsbildern werden solche molekular zielgerichteten Therapien bereits angewendet?
Prof. Brümmendorf: Bei einigen Formen des Blutkrebses gibt es diese Therapiemöglichkeit schon seit vielen Jahren. Die zielgenaue Krebstherapie kam zunächst vor allem bei einer bestimmten Form des Blutkrebses, der Chronischen myeloischen Leukämie, kurz CML, mit großem Erfolg zum Einsatz. Die Zulassung dieser gleichermaßen erfolgreichen und gut verträglichen Leukämietherapien, die ambulant und in Tablettenform durchführbar sind, wurden auch durch Studienpatienten des Aachener CIOs erreicht. Neu diagnostizierten Patienten mit CML kann dadurch heute trotz ihrer Leukämieerkrankung eine uneingeschränkte Lebenserwartung in Aussicht gestellt werden. Die CML gehört zur Gruppe der sogenannten Myeloproliferativen Neoplasien, für deren Behandlung und Erforschung wir in Aachen eine besondere Schwerpunktsetzung haben. Auch bei Untergruppen anderer Krebserkrankungen wie Lymphdrüsenkrebs, Brustkrebs, Darmkrebs oder Lungenkrebs wird die molekular zielgerichtete Therapie zunehmend eingesetzt. Inwieweit die individuelle Erkrankung eines betroffenen Patienten dafür infrage kommt, muss häufig durch gezielte molekulare Diagnostik am Tumormaterial herausgefunden und dann in sogenannten Molekularen Tumorboards – also gemeinsamen Fallbesprechungen aller beteiligter Experten – entschieden werden. Um alles Wissen aktuell und zum größtmöglichen Nutzen des Patienten zu bündeln, benötigt man onkologische Kompetenzzentren wie das Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) und starke Partner. Deshalb haben wir uns im Jahre 2018 mit den benachbarten Unikliniken Köln, Bonn und Düsseldorf zum CIO ABCD zusammengeschlossen, damit das gemeinsame Wissen und die modernen, innovativen Therapieangebote an allen vier Standorten unseren Patienten gleichermaßen zur Verfügung stehen.
In Ihrer Klinik gibt es auch eine spezielle Station für Stammzelltransplantation. Was hat es damit auf sich?
Prof. Brümmendorf: Bei der allogenen Stammzelltransplantation wird das erkrankte Knochenmark durch Stammzellen und das Immunsystem eines gesunden Spenders ersetzt. Zusätzlich zum reinen Ersatz des erkrankten durch ein gesundes Spenderknochenmark wird hierbei ein immunologischer Effekt wirksam, der sich bei bösartigen Erkrankungen idealerweise gegen die verursachende Grunderkrankung richtet – wir transplantieren quasi eine zellbasierte Immuntherapie. In jüngster Zeit ist es zunehmend möglich, solche zellulären Immuntherapien passgenau individuell aus Zellen des betroffenen Patienten selber gentechnisch herzustellen (sogenannte CART-Zellen) oder bestimmte Immunreaktionen des Patienten gegen seine Leukämie oder seine Krebserkrankung durch gezielte Aktivierung therapeutisch zu provozieren, ähnlich einer aktiven Impfung gegen den Tumor.
Was zeichnet das Krebszentrum CIO Aachen aus?
Prof. Brümmendorf: Wir sind davon überzeugt: Wer Krebs erfolgreich behandeln möchte, muss interdisziplinär arbeiten und sich mit allen Partnern in der Region vernetzen. Das Centrum für Integrierte Onkologie bietet den Patienten eine fachübergreifende, interdisziplinäre und umfassende Versorgung. Wichtig ist dabei die enge Absprache der verschiedenen Spezialisten bei Diagnostik und Therapie sowie im Hinblick auf klinische Studien zur innovativen und bestmöglichen Behandlung von Tumorerkrankungen. Das CIO ABCD ist der erste überregionale Verbund dieser Art in Deutschland und eines der 15 deutschen Onkologischen Spitzenzentren, die von der Deutschen Krebshilfe (DKH) ausgezeichnet und gefördert werden. Vor allem die Patienten in der Region sollen von diesem Zusammenschluss profitieren, da er unser Spektrum an Therapieangeboten, insbesondere im Rahmen von klinischen Studien und bei seltenen Tumoren, an der Uniklinik RWTH Aachen zusätzlich erweitert. Patientinnen und Patienten mit Krebserkrankungen stehen damit im CIO Aachen im Rahmen der interdisziplinären und Zweitmeinungs-Sprechstunden die größtmögliche Kompetenz und onkologische Erfahrung zur Verfügung. Und wenn wir einmal ein Angebot nicht in Aachen selber vorhalten, dann können wir im Sinne unserer Patienten an unsere kompetenten Partner im ABCD-Netzwerk verweisen.
Bleiben Sie gesund!
Wer sich fragt, welche Maßnahmen man ergreifen kann, um für sich oder die Familie das Risiko von Krebserkrankungen zu verringern, dem sei der „Europäische Kodex gegen den Krebs“ der Weltgesundheitsorganisation WHO ans Herz gelegt. Der Kodex gibt zwölf Empfehlungen, die die meisten Menschen ohne besondere Fachkenntnisse oder Beratung umsetzen können.
- Rauchen Sie nicht. Verzichten Sie auf jeglichen Tabakkonsum.
- Sorgen Sie für ein rauchfreies Zuhause. Unterstützen Sie rauchfreie Arbeitsplätze.
- Legen Sie Wert auf ein gesundes Körpergewicht.
- Sorgen Sie für regelmäßige Bewegung im Alltag. Verbringen Sie weniger Zeit im Sitzen.
- Ernähren Sie sich gesund:
Essen Sie häufig Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse.
Schränken Sie Ihre Ernährung mit kalorienreichen Nahrungsmitteln ein (hoher Fett- oder Zuckergehalt) und vermeiden Sie zuckerhaltige Getränke.
Vermeiden Sie industriell verarbeitetes Fleisch; essen Sie weniger rotes Fleisch und salzreiche Lebensmittel. - Reduzieren Sie Ihren Alkoholkonsum. Der völlige Verzicht auf Alkohol ist noch besser für die Verringerung Ihres Krebsrisikos.
- Vermeiden Sie zu viel Sonnenstrahlung, insbesondere bei Kindern. Achten Sie auf ausreichenden Sonnenschutz. Gehen Sie nicht ins Solarium.
- Schützen Sie sich am Arbeitsplatz vor krebserregenden Stoffen, indem Sie die Sicherheitsvorschriften befolgen.
- Finden Sie heraus, ob Sie in Ihrem Zuhause einer erhöhten Strahlenbelastung durch natürlich vorkommendes Radon ausgesetzt sind. Falls ja, ergreifen Sie Maßnahmen zur Senkung dieser hohen Radonwerte.
- Für Frauen:
Stillen senkt das Krebsrisiko bei Müttern. Falls möglich, stillen Sie Ihr Kind.
Hormonersatztherapien erhöhen das Risiko für bestimmte Krebserkrankungen.
Nehmen Sie Hormonersatztherapien möglichst wenig in Anspruch. - Sorgen Sie dafür, dass Ihre Kinder an Impfprogrammen teilnehmen gegen:
– Hepatitis B (Neugeborene)
– Humanes Papillomavirus (HPV) (Mädchen) - Nehmen Sie an bestehenden Krebsfrüherkennungs- und Screening-Programmen teil:
– Darmkrebs (Männer und Frauen)
– Brustkrebs und Gebärmutterhalskrebs (Frauen)