Schmerzen gehören vermutlich zu den durchdringendsten Gefühlen des Menschen – insbesondere dann, wenn sie besonders stark und/oder chronisch sind. Neben der körperlichen Verfassung spielt bei chronischen Schmerzen aber auch der Zustand der Psyche eine wichtige Rolle. Stress, Erschöpfung, Angst oder Hilflosigkeit, all das sind Gefühle, die chronische Schmerzpatienten nur zu gut kennen. Wie stark die chronischen Schmerzen ausgeprägt sind und die Begleiterscheinungen empfunden werden, hängt dabei unter anderem von der seelischen Verfassung, der generellen Persönlichkeitsstruktur sowie vom sozialen Umfeld ab. apropos klärt auf, wie sich chronische Schmerzen auf unsere Psyche auswirken – und umgekehrt.
Wenn akute Beschwerden über längere Zeit anhalten und nicht richtig behandelt werden, können sich daraus Schmerzen entwickeln, die ständig präsent sind. Solche, die länger als drei bis sechs Monate andauern, haben ihre ursprüngliche alarmierende Funktion verloren und sich ohne körperliche Ursache zu einer eigenen Erkrankung entwickelt: dem chronischen Schmerzsyndrom. Neben den körperlich bedingten chronischen Schmerzen gibt es noch die psychisch bedingten, denn seelische Probleme und körperliche Beschwerden treten oft gemeinsam auf. „Man spricht von psychischen Schmerzen und Erkrankungen, wenn seelische Belastungen und psychosoziale Faktoren wie etwa das familiäre Umfeld oder berufliche Konflikte, körperliche Reaktionen hervorrufen. Die psychische, gesundheitliche und soziale Situation, aber auch gesellschaftliche und kulturelle Aspekte spielen eine wesentliche Rolle. Ebenso die individuelle Persönlichkeit und Veranlagung“, erklärt Univ.-Prof. Dr. med. Thomas Frodl, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Uniklinik RWTH Aachen. Auch Krankheiten, Unfälle oder traumatische Ereignisse können diese Schmerzen triggern. Vor allem für Betroffene und Angehörige kann es sehr belastend sein, wenn keine körperlichen Ursachen für die chronischen Schmerzen gefunden werden können. Zudem reagiert das private Umfeld auf die nicht sichtbaren Schmerzen oftmals mit Unverständnis und dem Vorwurf der Einbildung oder Simulation.
Kein Schmerzempfinden ohne Beteiligung der Psyche
Menschen können zum einen eine psychische Erkrankung wie Depressionen oder Angstzustände, als Folge des Lebens mit chronischen Schmerzen entwickeln, zum anderen kann eine Vorgeschichte mit einer psychischen Erkrankung als Risikofaktor angesehen werden, chronische Schmerzen zu entwickeln. Wenn chronische Schmerzen ohne körperliche Ursache auftreten und mit psychosomatischen Beschwerden wie Herzrasen, Atemnot oder Schmerzen in mehreren Körperregionen einhergehen, kann eine psychosomatische Behandlung sinnvoll sein. Diese konzentriert sich gleichermaßen auf die körperlichen und psychischen Faktoren. Die genaue Betrachtung aller Befunde gehört ebenso dazu wie eine psychologische Diagnostik mithilfe von Fragebögen und Gesprächen. Gemeinsam werden Belastungsfaktoren analysiert sowie die private und berufliche Situation, Medikamente und Vorerkrankungen abgefragt. „Neben einer körperlichen Untersuchung und einer möglichen medikamentösen Versorgung ist es hilfreich, sich auch ein Bild von der Lebenssituation zu machen. Denn der Körper und unser Seelenleben beeinflussen sich gegenseitig. Oft ist den Betroffenen dies gar nicht bewusst und wird erst in gemeinsamen Gesprächen deutlich. Man muss wissen: Schmerzen treffen nicht nur den Körper, sondern auch unsere Psyche, die Schmerzwahrnehmung und die Schmerzverarbeitung. Ein Schmerzempfinden ohne Beteiligung der Psyche gibt es nicht“, fasst Prof. Frodl zusammen. Die seelische Verfassung kann den Ausbruch von Krankheiten, die Beschwerden selbst und den Verlauf stark beeinflussen. Häufig treten bei psychischen Leiden wie Angststörungen oder Depressionen noch begleitende Symptome und Verhaltensmuster auf, für die es keine körperlichen Ursachen gibt. „Es ist daher wichtig, Körper und Psyche als eine Einheit zu sehen. Auch wenn sich psychosomatische Schmerzen nicht vollständig erklären lassen, sind diese für Betroffene real, dürfen nicht bagatellisiert und müssen entsprechend behandelt werden“, betont der Klinikdirektor. Ziel einer Psychotherapie ist es, die Belastungen zu reduzieren, Strategien zu entwickeln, den Schmerz zu kontrollieren, Lebensqualität zurückzugewinnen und im Alltag mit den Schmerzen besser zurechtzukommen. Durch positive Erfahrungen und Erlebnisse sollten die Situationen gefördert werden, die den Schmerz in den Hintergrund rücken lassen oder ihn komplett aus dem eigenen Bewusstsein ausblenden.
Multimodaler Ansatz
„In der Therapie von chronischen psychosomatischen Schmerzen steht ein multimodaler Ansatz im Vordergrund. Darunter versteht man mehrere Bausteine, die kombiniert werden, um auf die vielfältigen Ursachen und Folgen einzugehen. Dazu gehören zum Beispiel die Psycho- oder Verhaltenstherapie, die medikamentöse Therapie und körperliche Aktivierung durch Physiotherapie. Unser Körper erlernt Schmerz und legt ein Schmerzgedächtnis an, das nicht einfach gelöscht werden kann. Es muss in einem längeren Prozess überschrieben werden. Es gilt daher, den Teufelskreis von Schmerzerfahrung, Anspannung, Verkrampfung und Angst zu unterbrechen. Außerdem sollten Betroffene verstehen, dass psychosomatische Schmerzen kein Zeichen von persönlicher Schwäche sind. Der Hilferuf der Seele lässt sich gemeinsam gut behandeln“, fasst der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie zusammen.
Stationäres Therapieangebot an der Uniklinik RWTH Aachen
An der Uniklinik RWTH Aachen gibt es für die stationäre Versorgung von psychosomatischen Erkrankungen die Station H der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Das therapeutische Angebot besteht in der individuellen psychosomatisch-psychotherapeutischen Behandlung in Einzel- sowie Gruppentherapien von chronischen Schmerzstörungen, depressiven oder phobischen Störungen, Angstzuständen, funktionellen Körperbeschwerden oder Störungen aus dem posttraumatischen Bereich. Das multiprofessionelle Behandlungsteam kombiniert dabei kreativ- und erlebnistherapeutische, soziotherapeutische, physiotherapeutische und medizinische Verfahren. Gemeinsam mit den Expertinnen und Experten erarbeiten die Betroffenen Wege, sich selbst besser zu verstehen und mit den Schmerzen und Störungen im Alltag leben zu lernen.
Sechs Tipps, wie Sie seelischen Krankheiten vorbeugen können:
– Unklare Schmerzen frühzeitig ärztlich abklären lassen
– Offen über Probleme reden
– Risikofaktoren durch Zeit- und Stressmanagement vermeiden
– Erholungspausen einbauen
– Anspannungen durch Sport oder Entspannungstechniken lösen
– Soziale Unterstützung (Freunde, Angehörige etc.) annehmen