Hören, sehen, fühlen, riechen, schmecken – und das Gleichgewicht? Diese Sinneswahrnehmung wird oft in der Aufzählung vergessen. Dabei ist der Gleichgewichtssinn eine der anspruchsvollsten Aufgaben des Gehirns und wird täglich gefordert: Beim morgendlichen Aufstehen aus dem Bett, Duschen, Waschen, Anziehen, bei der Fahrt zur Arbeit oder dem Gang zum Bäcker. All das funktioniert nur dank des Gleichgewichtorgans. Welche Rolle unsere Ohren dabei spielen, erklärt apropos.
Gleichgewichtssinn
Der Gleichgewichtssinn ist eine der wichtigsten Aufgaben des Gehirns und wird täglich gefordert: Beim morgendlichen Aufstehen aus dem Bett, Duschen, Anziehen oder dem Gang zum Bäcker. Die Körperhaltung und Orientierung im Raum ist eine komplexe Funktion unseres Körpers und speist sich aus dem Sehvermögen, dem Gleichgewichtsorgan des Innenohres (dem Labyrinth), sowie der Stellungsinformation aus den Gelenken und Muskeln (Propriozeption). Alle Informationen werden vom Gehirn zu einem sinnvollen Ganzen verrechnet. Bei widersprüchlichen Informationen verspüren wir Schwindel oder Übelkeit.
Gleichgewichtsorgan
Das Gleichgewichtsorgan, auch Vestibularorgan oder Labyrinth genannt, hat seinen Platz im Innenohr und verarbeitet Geschwindigkeit und Richtung von Bewegungen entweder als Drehbeschleunigung durch die sogenannten Bogengänge oder als dauerhafte Krafteinwirkung durch die Schwerkraft.
Wie das Gleichgewichtsorgan „wissen“ kann, in welche Richtung sich der Körper bewegt, lässt sich am besten an dessen Aufbau erklären. Das Gleichgewichtsorgan besteht auf jeder Seite aus drei Bogengängen und zwei Vorhofsäckchen. Die Bogengänge sind Kanäle, die von Membranen umgeben und mit Flüssigkeit gefüllt sind. Dadurch, dass die drei Bogengänge jeweils senkrecht zueinanderstehen, bilden sie die drei Dimensionen des Raumes ab. Indem der Kopf gedreht wird und sich die Flüssigkeit in den Bogengängen mitsamt Sinneshärchen bewegt, können alle Drehbewegungen des Kopfes wahrgenommen werden.
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Die Bogengänge besitzen jeweils eine Auswölbung, die sogenannte Ampulle. In den Ampullen liegen die Sinneszellen, die die Information aus der Drehbewegung an den Gleichgewichtsnerven weitergeben. Außerdem gibt es die zwei sogenannten Vorhofsäckchen, den Sacculus und den Utriculus. Diese sind entwicklungsgeschichtlich sehr alt und dienen zum Beispiel bei Fischen nicht nur der Orientierung, sondern auch dem Hören. Der Sacculus kontrolliert die natürlichen Schwankungen beim Gehen, der Utriculus dagegen ist für die Beurteilung des Horizonts zuständig.
„Alle elektrischen Impulse aus den Sinneszellen werden an den Hirnstamm und zur Zwischenverarbeitung an das Kleinhirn weitergeleitet, von wo aus sie an die höheren Zentren des Großhirns gelangen und mit den Informationen aus der Propriozeption sowie dem Sehvermögen verrechnet werden“, erklärt Dr. med. Justus Ilgner, Oberarzt an der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie an der Uniklinik RWTH Aachen. „Die vom Gehirn gesteuerten Handlungsanweisungen koordinieren die Muskeln entweder unwillkürlich reflektorisch oder durch willkürliche Bewegungen.“
Herausforderungen für das Gleichgewicht
Bei der Reisekrankheit tritt zum Beispiel ein Missverhältnis zwischen den Informationen aus dem Vestibularorgan, welches die Bewegung wahrnimmt, und dem Sehvermögen dann ein, wenn die Umgebung in der Schiffskabine stillsteht oder man während der Autofahrt Zeitung liest. Darüber geht ein plötzlicher Ausfall des Gleichgewichtsorgans einer Seite, wie dies auch im Innenohr als Hörsturz vorkommen kann, mit einem massiven Drehschwindel mit Übelkeit und Erbrechen einher. Bei solchen plötzlichen und anhaltenden Ereignissen ist die umgehende Untersuchung in der Notfallambulanz erforderlich, um einen Schlaganfall auszuschließen. Darüber hinaus gibt es bestimmte Erkrankungen des Innenohres und des Labyrinthorgans, welche sich wiederkehrend anfallsweise mit Übelkeit, Erbrechen und Tinnitus über mehrere Stunden manifestieren. Komplexer sind in der Regel Beschwerden mit Gangunsicherheit oder Schwanken, wie diese häufig bei älteren Leuten auftreten. In diesem Fall ist eine weitergehende Abklärung unter der Beteiligung vieler medizinischer Fachdisziplinen sinnvoll: Ist das Sehvermögen in Ordnung? Sind die Extremitätengelenke voll beweglich? Stimmt die Muskelkraft noch?
Der Gleichgewichtssinn nimmt eine der herausforderndsten Aufgaben des Gehirns ein und wird Tag für Tag beansprucht. Alles in allem ist ein gesundes Labyrinthorgan mit den übrigen Komponenten des Körpers essenziell für alltägliche Bewegungen und ermöglicht die sichere Navigation durch die Welt.