Immer noch ist es ein Tabuthema, über das Männer nur ungern sprechen: erektile Dysfunktion, umgangssprachlich besser bekannt als Erektionsstörung oder Impotenz. Dabei kommt sie häufiger vor als man vermutet. Glücklicherweise kann die erektile Dysfunktion, kurz ED, in der Regel gut behandelt werden. Im Interview mit apropos beantwortet Androloge Univ.-Prof. Dr. med. Matthias Saar, Direktor der Klinik für Urologie und Kinderurologie an der Uniklinik RWTH Aachen, die wichtigsten Fragen zum Thema.
Herr Prof. Saar, beim Thema Impotenz denken viele gleich an Fruchtbarkeit beziehungsweise Unfruchtbarkeit. Gemeint ist damit aber etwas anderes, richtig?
Prof. Matthias Saar: Korrekt. Wenn Mann nicht kann, spricht man im Volksmund von Impotenz. Oftmals gehen die Begriffe Impotenz und Unfruchtbarkeit Hand in Hand und werden von vielen Menschen gleichgesetzt. Dabei führt die Impotenz zu Erektionsstörungen und damit auch erstmal zu Unfruchtbarkeit. Hat ein Mann Probleme, eine Erektion zu bekommen oder zu halten, ist befriedigender Sex häufig nicht mehr möglich, obwohl die sexuelle Lust vorhanden ist. Der medizinische Begriff hierfür ist erektile Dysfunktion. Dieser Funktionsdefekt bedeutet aber nicht automatisch, dass ein Mann unfruchtbar ist!
Prof. Matthias Saar: Wenn es mal beim Sex nicht klappt, ist das nicht gleich Grund zur Panik. So einen Hänger im Bett kennt sicherlich jeder Mann, wenn er ehrlich ist. Eine erektile Dysfunktion oder Erektionsstörung entwickelt sich meist über einen längeren Zeitraum und tritt sowohl beim Geschlechtsverkehr als auch bei der Selbstbefriedigung auf. Vereinzelte Schwierigkeiten beim Sex sind demnach unbedenklich. Erst wenn eine Erektion, die für eine zufriedenstellende sexuelle Aktivität ausreicht, in rund 70 Prozent der Versuche ausbleibt und die Probleme mindestens über sechs Monate hinweg anhalten, spricht man aus medizinischer Sicht von einer erektilen Dysfunktion. Das Phänomen ist keine Seltenheit.
Wie verbreitet sind Potenzprobleme?
Prof. Matthias Saar: Erektionsstörungen nehmen mit dem Alter zu. Als Folge des Alterungsprozesses ist ein Mangel an Manneskraft ab 40 Jahren natürlich. Die Muskulatur des Beckenbodens erschlafft und die Durchblutung des Penis nimmt ab. Etwa jeder fünfte Mann in Deutschland leidet unter Erektionsstörungen. Ab dem 70. Lebensjahr ist die Hälfte der Männer betroffen. Doch die erektile Dysfunktion ist keine reine „Altmännerkrankheit”. Dass Potenzprobleme bei jungen Männern nicht auftreten, ist ein Irrglaube. Knapp jede vierte Neudiagnose einer Sexualstörung fällt gegenwärtig auf einen Mann unter 40 Jahren. Dabei dürfte die Dunkelziffer noch deutlich höher sein.
Wie gehen Männer damit um?
Prof. Matthias Saar: Fragt man Männer, ob sie Erektionsstörungen haben, werden die wenigsten ehrlich darauf antworten. Sobald es um ihre Männlichkeit geht, werden sie schweigsam. Doch wen wundert es? Schließlich setzt das klassische Männerbild und die aktuelle Geschlechterrolle Männern nicht nur zu, sondern sie vor allem auch unter Druck. Davon leitet sich auch der Anspruch an die sexuelle Potenz ab. Ein Mann will immer und kann immer. Er ist quasi allzeit bereit. Entsprechend wird auch das Selbstwertgefühl oft über die Potenz definiert. Funktioniert es mit der Erektion nicht mehr richtig, fühlen sich viele als Versager und das Selbstwertgefühl leidet. Dementsprechend groß ist die Scham. Sexualstörungen gelten nach wie vor als Tabuthema. Diese Erfahrung machen wir in unserer Klinik immer wieder. Für uns als Mediziner ist das Problem von außen nicht sichtbar, daher können wir unsere Patienten nur danach befragen und sind letztlich auf ihre Äußerungen angewiesen. Dabei kann ich Betroffenen nur empfehlen, offen darüber zu reden und zum Urologen zu gehen. Auch dann, wenn einem die Potenz möglicherweise gar nicht so wichtig ist. Denn Erektionsstörungen können auch Anzeichen für ernsthafte Erkrankungen sein und sollten im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung, welche ab 45 Jahren empfohlen wird, thematisiert werden.
Was sind denn die Ursachen für die nachlassende Manneskraft?
Prof. Matthias Saar: Die Gründe für eine erektile Dysfunktion können sehr unterschiedlich und sowohl körperlicher als auch seelischer Natur sein. In den meisten Fällen liegen aber körperliche Ursachen vor – besonders im höheren Alter. Dazu gehören grundsätzlich alle Krankheitsbilder, die eine Durchblutungsstörung begünstigen wie Bluthochdruck, Diabetes, Fettstoffwechselstörungen oder eine Arterienverkalkung an den Herzkranzgefäßen. Sie können dazu führen, dass der Schwellkörper im Penis nicht ausreichend mit Blut versorgt wird. Aber auch Hormonstörungen, Gefäß- oder Nervenschäden, Schädigungen des Rückenmarks sowie Entzündungen oder Operationen an der Prostata können für eine Potenzstörung verantwortlich sein.
Also hat Mann selbst keinen Einfluss darauf?
Prof. Matthias Saar: Doch, ganz im Gegenteil. Der eigene Lebensstil hat einen entscheidenden Einfluss auf die Erektionsfähigkeit: Bewegungsmangel, ungesunde Ernährung, Übergewicht und übermäßiger Alkohol- oder Tabakkonsum beeinflussen die Erektionsfähigkeit negativ. So können Stress am Arbeitsplatz oder in der Familie, Beziehungsprobleme, hohe Erwartungen an das Sexualleben, Depressionen oder Versagensängste eine erektile Impotenz auslösen. Hier lauert die Gefahr eines Teufelskreises: Klappt es einmal nicht im Bett, steigt der Leistungsdruck beim Mann, was beim nächsten Mal wieder eine Erektionsstörung begünstigen kann. Oftmals vermischen sich bei Impotenz auch körperliche und psychische Faktoren. Am sichersten ist es für den Mann, die Probleme zeitnah vom Arzt abklären zu lassen.
Was kann Mann bei einer erektilen Dysfunktion tun?
Prof. Matthias Saar: Die erste Anlaufstelle bei ED ist der Urologe. Zur Abklärung ist in erster Linie ein ausführliches Gespräch zur Krankengeschichte notwendig. Hier müssen wir unseren Patienten auch sehr persönliche Fragen stellen, beispielsweise zum Sexualleben. Zudem müssen wir wissen, welche Medikamente der Patient möglicherweise einnimmt, da einige eine Impotenz hervorrufen können. Im nächsten Schritt gilt es zu klären, welche Ursachen zugrunde liegen. Das erfolgt mittels unterschiedlicher Untersuchungen wie Blutdruck- und Pulsmessung, Blut- und Urinuntersuchungen, Bestimmung des Hormonstatus oder Ultraschalluntersuchungen.
Und wie geht es dann weiter?
Prof. Matthias Saar: Für Erektionsstörungen gibt es eine Reihe individueller Therapieoptionen. Welche Maßnahme man im Einzelfall ergreift, hängt natürlich von der Ursache der erektilen Dysfunktion, aber auch von der persönlichen Einstellung des Mannes zu verschiedenen Behandlungsformen ab. Dabei sollte man sich im Klaren sein, dass die meisten Ansätze ausschließlich die Impotenz behandeln und nicht die zugrundeliegenden krankhaften Veränderungen. Daher ist es immer wichtig, die ursächlichen Erkrankungen mit zu therapieren – falls möglich. Eine frühzeitige Behandlung ist ausschlaggebend für die Erfolgschance.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es denn?
Prof. Matthias Saar: Natürlich kann man zunächst mit Hausmitteln und Trainingsübungen sowie mit einem gesünderen Lebensstil versuchen, das Problem zu lösen. Die bereits genannten Risikofaktoren wie Übergewicht, Bewegungsmangel, Rauchen, Alkoholkonsum und so weiter kann man schon vorbeugend ausschalten. Lässt die Potenz im Alter nach, kann ein gezieltes Fitnesstraining manchmal Wunder wirken. Auch Joggen und Beckenbodentraining können zu einer verbesserten Durchblutung im Penis verhelfen. Außerdem soll Ingwertee die Durchblutung der Becken-Organe anregen.
Und wenn das nicht hilft?
Prof. Matthias Saar: Die Einnahme von Tabletten wie Viagra und Co. sind für den Mann die einfachste Form der Therapie und immer noch die erste Wahl. Die sogenannten PDE-5-Hemmer verbessern die Durchblutung und damit auch die Sauerstoffzufuhr des Penis, wodurch die Erektionsfähigkeit verbessert werden soll. Doch nicht für jeden sind solche Tabletten geeignet. Eine medikamentöse Alternative ist
die Gabe gefäßerweiternder Substanzen in die Harnröhre oder direkt in den Penis. Eine Hormontherapie, der Einsatz einer Vakuumpumpe, Schwellkörperprothese, Stoßwellentherapie oder eine Operation stellen weitere Behandlungsmöglichkeiten dar, die im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden müssen.
Was macht Mann, wenn die Ursache psychischer Natur ist?
Prof. Matthias Saar: Gezielter Stressabbau durch ein offenes Gespräch mit dem Partner oder der Partnerin sowie mithilfe von Entspannungsübungen und Sporteinheiten kann sehr hilfreich sein. Unter Umständen ist auch eine psychologische Beratung, also eine Psychotherapie sinnvoll.
Eine Sexualberatung und -aufklärung sowie Verhaltens- und Gesprächstherapie sind generell bei Erektionsstörungen zu empfehlen. Auch wenn organische Gründe vorliegen, plagen Männer meist Ängste. Eine Beratung kann hier wertvolle Ratschläge geben, besser mit der Situation umzugehen. Darüber
hinaus sollte mit einem Arzt besprochen werden, ob und welche Medikamente, mechanische Hilfsmittel und Therapien infrage kommen.
Ihr persönlicher Rat an Betroffene?
Prof. Matthias Saar: Wenn es mal hin und wieder im Bett nicht klappt, ist es noch kein Weltuntergang. Schließlich ist der Penis ja kein Zauberstab, der hoch und runter geht wie man es sich gerade wünscht. Obwohl ich die Thematik berufsbedingt völlig neutral sehe, ist mir bewusst, dass sie für viele Männer schambehaftet ist. Umso wichtiger ist hier ein empathischer Zugang. Betroffene sollten sich
nicht mit Selbstzweifeln quälen, sondern ihr Schamgefühl überwinden, und frühzeitig einen Facharzt aufsuchen. In den meisten Fällen kann Abhilfe geschaffen werden. Denken Sie daran, Sie sind nicht allein: viele Männer teilen ihre Nöte.
Von einer Selbstmedikation mit Potenzpillen rate ich dringend ab. Die Präparate sollten ausschließlich auf ärztliche Anweisung und unter ärztlicher Aufsicht eingenommen werden. Lassen Sie die Finger von Internetangeboten, die verschreibungspflichtige Medikamente ohne Rezept liefern. Illegale Potenzmittel können ernsthafte Nebenwirkungen haben. Damit schaden Sie Ihrer Gesundheit eher, als dass Sie helfen.
Was kann Mann vorbeugend tun?
Vor allem ein gesunder Lebensstil hilft! Dazu gehören:
• Blutdruck, Blutfette, Blutzucker und Gewicht im Normalbereich
• regelmäßiger Sport
• ausgewogene Ernährung
• wenig Alkohol
• Verzicht auf Zigaretten
• Beckenboden trainieren
• Mit der Partnerin oder dem Partner offen reden: Eine Potenzstörung betrifft immer beide.
• Versuchen Sie, sich nicht unter Druck zu setzen.