In vielen Familien wird das Leben durch die Diagnose einer chronischen Erkrankung beim eigenen Nachwuchs gehörig auf den Kopf gestellt. Von Diabetes oder Epilepsie über Asthma und Rheuma bis hin zu Autoimmun-erkrankungen – chronische Erkrankungen im Kindesalter wirbeln den Familienalltag durcheinander und können sowohl psychische als auch emotionale Belastungen für die gesamte Familie mit sich bringen.
Schon die Erziehung und Betreuung von gesunden Kindern mag hin und wieder anstrengend sein. Kommt jedoch ein unerwartetes neues „Familienmitglied“ in Form einer chronischen Erkrankung hinzu, kann der Alltag zur Herausforderung werden und den Eltern viel abverlangen. „Chronisch nennt man Krankheiten, bei denen eine lang andauernde gesundheitliche Beeinträchtigung vorliegt, die nicht vollständig geheilt werden kann“, erklärt Univ.-Prof. Dr. med. Martin Häusler, Leiter der Sektion Neuropädiatrie und Sozialpädiatrie der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik RWTH Aachen. Der Moment, in dem Eltern erfahren, dass ihr Kind an einer chronischen Erkrankung leidet, kann schockierend sein und zu einem Gefühl der Überforderung führen. Plötzlich werden sie mit einer Vielzahl an Fragen und Sorgen konfrontiert: Wie wird sich die Krankheit auf das Leben des Kindes auswirken? Wie lässt sich die bestmögliche medizinische Versorgung sicherstellen und wie geht man in der Familie damit um? „In diesem Stadium ist es entscheidend, dass die Eltern unterstützt werden, sei es durch das medizinische Team, Selbsthilfegruppen oder professionelle Beratungen, um ihnen beim Umgang mit ihren Emotionen zu helfen und die ganzen Informationen zu verarbeiten“, ergänzt Prof. Häusler.
VERÄNDERUNGEN IM FAMILIÄREN ALLTAG
Der tägliche Umgang mit der Krankheit erfordert je nach Beschwerdebild eine kontinuierliche medizinische Versorgung. Dies kann die allgemeine Überwachung der Krankheitssymptome, die strikte Einnahme von Medikamenten, spezielle Diäten, eine Veränderung des Lebensstils oder den Umgang mit möglichen Nebenwirkungen oder Komplikationen umfassen. „Für Eltern bedeutet eine chronische Erkrankung des Kindes oft eine radikale Umstellung des Alltags. Sie müssen wachsam sein, potenzielle Veränderungen oder Verschlechterungen erkennen, zu Experten in Bezug auf die Krankheit ihres Kindes werden und sich je nach Krankheitsgeschehen mit komplexen medizinischen Fachbegriffen und Behandlungsoptionen auseinandersetzen“, sagt der Mediziner und führt aus: „Diese permanente Verantwortung kann zu Stress und Erschöpfung führen, insbesondere wenn die Erkrankung des Kindes mit unvorhersehbaren Schüben oder schweren Symptomen einhergeht. Es ist daher sehr entscheidend, die Eltern von Anfang an in die individuelle Therapieplanung miteinzubeziehen, zu unterstützen und Aufklärungsarbeit zu leisten.“
FAMILIEN CHRONISCH KRANKER KINDER
Abgesehen von den Beschwerden, die eine chronische Erkrankung für das betroffene Kind mit sich bringt, können diese auch das Ehe- oder Familienleben stark beeinflussen. Unter Umständen müssen Paare ihre Arbeitszeiten anpassen, um eine ständige Betreuung des erkrankten Kindes zu gewährleisten. Häufige Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte oder Therapien bringen den Alltag zusätzlich durcheinander, können zu finanziellen Belastungen führen und die Beziehung auf eine harte Probe stellen. Neben den physischen Herausforderungen sollten auch die psychischen und emotionalen Belastungen nicht außer Acht gelassen werden. „Die Eltern haben womöglich mit Schuldgefühlen zu kämpfen, weil sie die Erkrankung ihres Kindes nicht verhindern konnten. Häufig verbringen sie viel Zeit mit dem kranken Kind und Geschwisterkinder können sich allein und verängstigt fühlen oder eifersüchtig werden, weil die Schwester oder der Bruder mehr Aufmerksamkeit erhält. In solchen Fällen ist es wichtig, dass Eltern eine offene Kommunikation pflegen, Gefühle teilen und sich gegenseitig unterstützen. Professionelle Beratung kann ebenfalls dabei helfen, die ganzen neuen Emotionen zu stemmen“, fasst der Neuropädiater zusammen.
WEGE DES UMGANGS
Trotz der vielen Herausforderungen gibt es einige Möglichkeiten, wie Familien den Umgang mit einer chronischen Erkrankung des Kindes bewältigen können. Binden Sie beispielsweise Selbsthilfegruppen oder psychologische Unterstützungs-angebote ein, um Stress zu reduzieren, und tauschen Sie sich mit Familien in ähnlichen Situationen aus. Nehmen Sie Sozialberatung in Anspruch, um die Ihnen zustehenden staatlichen Unterstützungen zu kennen. Wenn Sie sich Sorgen um die Reaktionen im Umfeld Ihres erkrankten Kindes machen, dann stärken Sie das Selbstwertgefühl Ihres Sprösslings, indem Sie die soziale Integration durch eine inklusive Umgebung zu Hause oder in der Schule fördern. „Besorgte Eltern sollten zudem versuchen, sich auf die Stärken und Ressourcen der eigenen Familie zu fokussieren. Achten Sie auf sich selbst und suchen Sie für sich sowie für die Geschwisterkinder Möglichkeiten der Entlastung, um die Batterien wieder aufzuladen. Beziehen Sie die ältere Schwester oder den großen Bruder in die Pflege des erkrankten Kindes ein und feiern Sie gemeinsam Erfolge und kleine Meilensteine. Schaffen Sie aber auch Freiräume, in denen Sie nur mit Ihren gesunden Kindern etwas unternehmen. Das stärkt nicht nur das Verständnis für die Situation, sondern auch das familiäre Zusammengehörigkeitsgefühl“, betont der Experte.
Das Sozialpädiatrische Zentrum (SPZ) der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik RWTH Aachen ist eine ambulante Versorgungseinrichtung für Kinder und Jugendliche, die in verschiedenen Phasen der Entwicklung und des Verhaltens Störungen aufweisen. Es bietet betroffenen Familien ganzheitliche Hilfe an. Weitere Informationen zum SPZ finden Sie auf der Website der Klinik.
Kontakt:
Sozialpädiatrisches Zentrum
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