#UKAPflege: Zwischen Paw-Patrol und Marte Meo

Johanna ist Pflegekraft auf der neuen Eltern-Kind-Station der Klinik für Psychiatrie, Psycho­somatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters (KJP) an der Uniklinik RWTH Aachen. Auf der Station wird Kindern geholfen, die bereits in sehr jungen Jahren besondere Bedürfnisse oder Verhaltensauffälligkeiten haben, die eine extreme Herausforderung für die Eltern darstellen. Johanna ist für die Pflege dieser kleinsten Patienten zwischen 0 und 8 Jahren zuständig – und die sieht hier in der KJP etwas anders aus als auf den meisten Stationen der Uniklinik.

Zur psychiatrischen Pflege gehört neben einigen klassischen Pflegetätigkeiten vor allem die Krankenbeobachtung – zur Anamnese und Diagnosestellung, bei der Begleitung der Therapie und auch zur Evaluation. Anders als in anderen Disziplinen können in der Psychiatrie viele Symptome und Verhaltensänderungen durch die Therapie nur beobachtet und nicht objektiv gemessen werden: Wie ist das Verhalten zu Beginn des Aufenthaltes, was bewirken die Medikamente, welche Dosierung hilft, wo treten Nebenwirkungen wie Appetitlosigkeit oder Müdigkeit auf?

„Wir erleben kleine Katastrophen und große Momente“, sagt Johanna (42 Jahre), Gesundheits- und Krankenpflegerin auf der Eltern-Kind-Station (Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters).

Im Stationsalltag müssen Johanna und ihre Kolleginnen genau diese Dinge herausfinden. Der Kontakt zu Kindern und Eltern ist daher eng. „Wir arbeiten hier co-therapeutisch, geben unsere Beobachtungen an die Ärzte und Therapeuten weiter, begleiten Therapiesitzungen, sprechen mit Eltern“, erklärt sie. „Nur mit diesen Informationen können unsere Ärzte und Psychologen die richtigen Entscheidungen für die Kinder treffen.“

„Frau Hohensee“, wie die Kinder sie nennen, hat gerade jetzt – nach dem Ende der morgendlichen Gruppentherapie – keine ruhige Minute. Ein Mädchen zeigt ihr sein neuestes Kunstwerk, ein anderes fragt nach einer versprochenen Belohnung, ein Junge sucht seine Mutter. Man sieht gleich: Johanna ist mehr als eine Krankenschwester. Sie ist Bezugsperson, Erzieherin, Spielkameradin und Seelentrösterin – zumindest im Verständnis der Kinder. Trotzdem oder gerade deshalb lässt sie sich von Kindern und Eltern siezen. „Bei der Nähe, die hier zuweilen herrscht, ist das wichtig, damit trotz des engen Kontakts eine professionelle Distanz gewahrt wird“, weiß sie.

Hilfe in geschützter Umgebung

Die Kinder, die mit ihren Eltern stationär in der KJP aufgenommen werden, haben meist schon eine Reihe ambulanter Therapien und Hilfsangebote hinter sich. Die Erfahrungen mit ihren Problemen und Erkrankungen sind bei vielen nicht gut. Nicht selten begleiten Ratschläge und Vorwürfe aus dem privaten Umfeld Eltern und Kinder schon längere Zeit erfolglos. „Wenn die Familien bei uns ankommen, sind sie meist müde und erschöpft. Die Eltern sind verzweifelt, die Kinder verunsichert, manchmal ist der Familienfrieden regelrecht gestört“, sagt die 42-Jährige.

Viele der jungen Patientinnen und Patienten leiden an ADHS in besonders schwerer Form, andere haben Angststörungen, Trennungsängste, Zwänge oder haben unterschiedliche Formen von Autismus. Die Ankunft auf der Station, auf der sie sich voll und ganz ihren Auffälligkeiten widmen können, empfinden viele als ein Aufatmen, ein Ankommen in einem geschützten Raum. Hier werden die Probleme ernst genommen, wertfrei und ohne Vorwürfe – und es wird professionell geholfen. „Wir arbeiten in einem multiprofessionellen Team, das versucht, die Kinder in ihrer Entwicklung bestmöglich zu unterstützen. Dafür lassen wir sie positive Erfahrungen miteinander und mit den Eltern erleben. So soll der Problemkreislauf in der Beziehung zwischen Kindern und ihren Eltern in der Zeit bei uns durchbrochen werden“, erklärt sie das Vorgehen.

Die meisten Familien ergreifen diese große Chance. „Aber das hier ist kein launiger Kuraufenthalt. Die Zeit ist anstrengend, fordert die ganze Mitarbeit, Konsequenz und den Einsatz von Kindern und Eltern“, erläutert Johanna weiter. In der Regel bleiben die Familien drei bis acht Wochen auf der Station. Die Kinder erhalten verschiedene Therapien – von Ergo-und Verhaltenstherapien bis hin zu medikamentösen Therapien, wenn notwendig, und auch die Eltern nehmen an Trainings und Schulungen teil. Die Wochenenden verbringen die Familien dann zu Hause, um das Gelernte im normalen Alltag zu üben.

Auch Eltern im Fokus

Das Beobachten der Eltern-Kind-Beziehung zählt ebenso zu Johannas Aufgaben. Wie ist der Umgang miteinander, wo hakt es, in welchen Situationen sind die Verhaltensweisen so eingefahren, dass es ein Eingreifen erfordert? „Gerade bei kleinen Kindern kann man mit der Änderung nur weniger Verhaltensweisen eine Menge erreichen“, sagt Johanna, die selbst Mutter von zwei Töchtern ist.

Ein gängiges Mittel, das in der KJP angewendet wird, ist ein Verhaltensplan. Fast jedes Kind hat ihn in seinem Patientenzimmer hängen. Beim sechsjährigen Oliver wurde sein „Zu-Bett-geh-Ritual“ in kleine Teile zerlegt: Ausziehen, Zähne putzen, Schlafanzug anziehen, hinlegen, lösen von Mama … Für jeden erfolgreich absolvierten Teil gibt es einen Punkt. Je nach Punktezahl bekommt er dann eine kleine oder größere Belohnung. Und damit das Ganze von ihrem jungen Patienten akzeptiert wird, hat Johanna Olivers Plan liebevoll im Stil seiner Lieblingsserie „Paw-Patrol“ – einer Zeichentrickserie mit kleinen Hunden – designt.

Auch die Marte Meo Methode, eine auf Videoanalysen basierende, entwicklungs­unterstützende Methode, wird auf der Station angewandt und einige Pflegekräfte werden darin speziell geschult. Die Eltern und ihre Kinder werden in Spiel- und Alltagssituationen gefilmt und die Eltern erhalten in der späteren Videoanalyse konkrete Informationen über die Möglichkeiten, wie sie den Entwicklungsprozess ihres Kindes unterstützen können. So können sie schrittweise ihre Erziehungsaufgaben und Schwierigkeiten aus eigener Kraft lösen lernen. „Auch außerhalb der Therapien geben wir den Eltern im Alltag auf der Station viele Tipps, was sie im Umgang mit den Kindern verbessern können, zum Beispiel in Konfliktsituationen. Aber wir übernehmen nicht die Erziehung und Betreuung“, betont die Pflegekraft. „Wir konzentrieren uns auf die medizinische und psychiatrische Pflege und helfen, die Zeit hier sinnvoll zu verbringen.“

Für Johanna ist die Arbeit in der KJP ein Traumjob. „Ich wollte schon seit Beginn meiner Ausbildung in der Psychiatrie arbeiten und habe diesen Weg durch spezielle Schulungen und Fachweiterbildungen früh eingeschlagen“, berichtet sie. „Das Schönste ist, dass es nie langweilig wird. Es gibt keine Routine. Wir erleben kleine Katastrophen und große Momente und freuen uns, wenn uns die Familien in der Regel glücklicher und mit neuen Ideen im Umgang mit ihren Kindern wieder verlassen.“



www.pflege.ukaachen.de

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