RS-Virus: Wie gefährlich ist es und wie schützt man sich?

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Bestimmte in den vergangenen Jahren noch die Sorge um Corona den Alltag vieler Familien, rückte in den letzten zwei Wintern ein anderer zirkulierender Erreger in den Fokus, der zuvor nur wenigen bekannt war: das Respiratorische Synzytial-Virus, kurz RSV. Es kann zu schweren Atemwegserkrankungen führen und besonders für Säuglinge gefährlich werden. Was Eltern wissen müssen, erklärt Univ.-Prof. Dr. med. Norbert Wagner, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik RWTH Aachen, im Interview mit apropos.

Herr Prof. Wagner, was genau ist das RS-Virus?
Prof. Wagner:
Das Respiratorische Synzytial-Virus, auch RSV oder RS-Virus genannt, ist ein weltweit verbreiteter Erreger, der die oberen und unteren Atemwege befällt. In Mitteleuropa treten RSV-Infektionen saisonal gehäuft zwischen November und April auf. Grundsätzlich kann jeder daran erkranken – unabhängig vom Alter. Doch besonders häufig betroffen sind Säuglinge und Kleinkinder. Bis zum Alter von zwei Jahren hat sich nahezu jedes Kind in Deutschland einmal infiziert.

Bereits im Winter 2022 sorgte das RS-Virus für große Schlagzeilen: Es war die Rede von einer RS-Welle, die Kinderarztpraxen und Kinderkliniken an ihr Limit brachte. Was hat es mit dem sprunghaften Anstieg von Atemwegsinfektionen auf sich?
Prof. Wagner:
Es gibt eine Art „Nachholeffekt“. Normalerweise begegnen Kinder jedes Jahr RS-Viren. Der Kontakt mit den Erregern immunisiert und die Betroffenen bauen einen gewissen Immunschutz auf. Dies blieb aber während der Corona-Pandemie weitestgehend aus: Durch die Schutzmaßnahmen wie Abstandsregelungen, Maskenpflicht, Lockdowns sowie Kita- und Schulschließungen, haben Kinder seltener als üblich Infektionen durchgemacht. Kommt das Immunsystem nicht mit RSV in Kontakt, reduziert sich der Schutz. Jetzt, wo wieder der Kontakt durch einen Infekt stattfindet, wird das Immunsystem trainiert und sozusagen erneut auf den neuesten Stand gebracht. Dieses Phänomen des Nachholeffekts sollte sich nun aber langsam erledigt haben.

Wie steckt man sich mit RSV an?
Prof. Wagner:
Die Übertragung erfolgt in erster Linie durch Tröpfcheninfektion. Das bedeutet, dass der Krankheitserreger wie die meisten Erkältungsviren durch Aerosole übertragen wird. Sprich: Beim Niesen, Husten oder Sprechen gelangen Erreger über Speichel- oder Schleim-Tröpfchen in die Luft. Gesunde Menschen nehmen sie dann über die Schleimhäute auf. Auch eine Schmierinfektion über kontaminierte Hände, Gegenstände oder Oberflächen ist möglich. Eine Ansteckung ist in jedem Alter möglich und kann während des gesamten Lebens wiederholt auftreten. Eine langfristige Immunität besteht somit nicht.

Wann bricht die Krankheit aus und wie lange ist man ansteckend?
Prof. Wagner:
Die Inkubationszeit von der Ansteckung mit dem RSV bis zum Ausbruch der Erkrankung dauert zwei bis acht Tage, durchschnittlich sind es fünf Tage. Infizierte können das Virus schon einen Tag nach der Ansteckung und vor dem Auftreten von Symptomen verbreiten. Nach einer Woche ist man in der Regel nicht mehr ansteckend. Allerdings können bestimmte Personen- beziehungsweise Risikogruppen, zu denen unter anderem Früh- und Neugeborene gehören, über mehrere Wochen ansteckend bleiben.  

Apropos Symptome: Wie macht sich eine RSV-Infektion insbesondere bei Kindern bemerkbar?
Prof. Wagner:
Erste Anzeichen sind erkältungsähnliche Symptome wie Schnupfen, Husten, Halsschmerzen, vielleicht Schluckbeschwerden oder auch Fieber. Das Kind wirkt oftmals schlapp und müde und zeigt sich appetitlos. Manchmal ist auch eine Mittelohrentzündung die Folge. Bei älteren Kindern und Erwachsenen klingen die meist harmlosen Beschwerden üblicherweise innerhalb einiger Tage wieder ab. Die häufigsten Komplikationen sind bei Säuglingen und Kindern im ersten Lebensjahr Entzündungen der unteren Atemwege.

Wie verläuft die Erkrankung und wie kommt es zu solchen Komplikationen?
Prof. Wagner:
Die Ausprägung der Beschwerden sowie der Krankheitsverlauf können von Person zu Person ganz unterschiedlich sein. Während eine Infektion bei Erwachsenen ohne Grunderkrankungen meist mild im Sinne einer Erkältungserkrankung oder gar asymptomatisch, also ohne erkennbare Symptome, verläuft, kann die Erkrankung bei Säuglingen und Kleinkindern schwerer verlaufen. Zu Beginn treten klassische Anzeichen von Virenbefall der oberen Atemwege auf wie Schnupfen, trockener Husten, eventuell begleitet von einer Rachenentzündung. Nach wenigen Tagen kann jedoch die Infektion auf die unteren Atemwege übergreifen und die Erkrankung deutlich verschlimmern – mit stärkerem, produktivem Husten, Kurzatmigkeit bis hin zur Entstehung einer Lungenentzündung oder Bronchiolitis. Bei der Bronchiolitis entzünden sich die Bronchien. Dabei schwellen die Schleimhäute an und es bildet sich ein Schleim, der den Kindern das Atmen erschwert. Anzeichen für einen solch schweren Verlauf können ein pfeifendes oder keuchendes Geräusch beim Ausatmen, Atemaussetzer, eine beschleunigte Atmung oder aber sogar eine bläuliche Verfärbung der Haut aufgrund von Sauerstoffmangel sein.

Wann sollten Eltern eine Kinderärztin oder -arzt aufsuchen?
Prof. Wagner:
Die Abgrenzung einer Infektion mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus von anderen akuten Atemwegserkrankungen ist nicht ganz einfach, denn die Symptome ähneln stark denen einer Grippe. Da ein schwerer Infektionsverlauf durch RSV selten, aber rasch eintreten kann, sollten Eltern besonders auf die Atmung achten. Wenn ihr Baby oder Kind Atemaussetzer hat, Essen und Trinken verweigert, oder schneller oder schwerer als üblich atmet, sollte zügig ein Arzt aufgesucht werden. Er kann entscheiden, ob die Infektion im Krankenhaus überwacht und behandelt werden sollte. Auch wenn Fieber länger als drei Tage anhält, wäre es empfehlenswert, medizinischen Rat einzuholen.

Sie sprachen vorhin von Risikogruppen. Für wen ist das RS-Virus gefährlich?
Prof. Wagner: Das RSV ist nicht für alle Altersgruppen gleich gefährlich. Es kann eine einfache Atemwegsinfektion hervorrufen, aber in besonders schlimmen Fällen auch auf die Intensivstation führen. Bei Säuglingen und Kleinkindern ist eine Infektion mit RSV die häufigste Ursache von Erkrankungen der unteren Atemwege verbunden mit einem Krankenhausaufenthalt. Da ihre Atemwege und auch ihr Immunsystem noch nicht vollständig ausgebildet sind, kann es (selten) wiederholt zu schweren Verläufen kommen. Ebenfalls gefährdet sind sowohl junge als auch alte Menschen mit geschwächtem Immunsystem oder mit chronischen Vorerkrankungen beispielsweise der Lunge oder des Herzens.

Wie sieht die Behandlung von RSV aus?
Prof. Wagner:
Da eine RSV-Infektion aktuell nicht mit Medikamenten heilbar ist, konzentriert man sich in der Behandlung auf die Linderung der Symptome. Das geschieht beispielsweise durch die Gabe von fiebersenkenden Medikamenten oder schleimlösenden Mittel sowie eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr. Zudem helfen Nasentropfen und Inhalationen mit Kochsalzlösung dabei, die oberen Atemwege feucht und freizuhalten. In schweren Fällen kann auch eine zusätzliche Sauerstoffgabe im Krankenhaus notwendig sein.

Gibt es einen Impfstoff gegen RSV?
Prof. Wagner: Seit August 2023 stehen erstmals zwei RSV-Impfstoffe zur aktiven Immunisierung zur Verfügung. Der erste durch die Europäische Kommission zugelassene Impfstoff ist für Personen ab dem vollendeten 60. Lebensjahr, der zweite für Schwangere zum passiven Schutz von Säuglingen. Da die Ständige Impfkommission (STIKO) noch keine entsprechende Empfehlung für Deutschland ausgesprochen hat, wären die Kosten derzeit privat zu tragen. Für bestimmte Risikogruppen wie Frühgeborene oder Babys mit angeborenem Herzfehler gibt es nach wie vor eine RS-Virus-Prophylaxe – also eine vorbeugende Behandlung, die kurzfristig Schutz bietet, aber keine aktive RSV-Impfung im eigentlichen Sinne ist. Dabei handelt es sich um ein Medikament, ein Antikörperpräparat, das das Risiko für eine schwere RS-Virus-Erkrankung senkt.

Welche vorbeugenden Maßnahmen gibt es darüber hinaus, um sich vor einer Ansteckung mit dem RS-Virus zu schützen?
Prof. Wagner:
Um die Gefahr einer Ansteckung und Ausbreitung zu minimieren, sollten Hygieneregeln im öffentlichen Leben und auch innerhalb der Familie eingehalten werden. Dazu zählen regelmäßiges Händewaschen, Einhaltung der Hust- und Niesetikette sowie das Reinigen von eventuell kontaminiertem Kinderspielzeug sowie anderen Gegenständen und Oberflächen. Allgemein sollten Neugeborene und Säuglinge mit einem erhöhten Risiko während der RSV-Saison nur zu einer notwendigen und begrenzten Zahl von Personen Kontakt haben.

Univ.-Prof. Dr. med. Norbert Wagner, Direktor der Klinik für Kinder - und Jugendmedizin
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