Die Neuropädiatrie ist ein Teilgebiet der Kinderheilkunde (Pädiatrie), das auch Kinderneurologie genannt wird: Das medizinische Fachgebiet befasst sich mit angeborenen und erworbenen Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems sowie der Muskulatur im Kindes- und Jugendalter. apropos gibt einen Einblick in die Besonderheiten des Fachbereichs und die Arbeit der Sektion Neuropädiatrie und Sozialpädiatrie der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Uniklinik RWTH Aachen.
Die Entwicklung des Nervensystems und des Gehirns setzt beim Embryo bereits in der dritten Schwangerschaftswoche ein. Mit der Geburt ist diese Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen: Das Nervensystem verändert sich über das gesamte Kindes- und Jugendalter hinweg und entwickelt sich stetig weiter. Darin liegt eine zentrale Besonderheit der Neuropädiatrie begründet, wie Univ.-Prof. Dr. med. Martin Häusler, Leiter der Sektion Neuropädiatrie und Sozialpädiatrie der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik RWTH Aachen, erklärt: „Bei neuro-logischen Patientinnen und Patienten im Erwachsenenalter ist das Nervensystem vollständig ausgebildet. Dies ist in der Regel ab einem Alter von 20 bis 22 Jahren der Fall. Bei der Neuropädiatrie sieht das aber ganz anders aus: Wir beschäftigen uns mit Kindern und Jugendlichen, deren Nervensystem ständigen Veränderungen unterliegt. Dementsprechend treten manche Erkrankungen einerseits erst in einem bestimmten Alter oder in einer bestimmten Entwicklungsphase auf – andererseits können sich im Verlauf der Entwicklung Störungen auch wieder zurückbilden. Wir müssen bei unserer Arbeit daher immer alle neurologischen Symptome und Erkrankungen vor dem Hintergrund der kindlichen Entwicklung bewerten.“
INTERDISZIPLINÄRE ZUSAMMENARBEIT ERFORDERLICH
Eine komplexe und herausfordernde Aufgabe, die eine enge, interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedenster Disziplinen erfordert, um Erkrankungen verlässlich zu diagnostizieren und therapieren zu können: „An der Uniklinik RWTH Aachen können wir dank der Vielfalt an Disziplinen eine ganzheitliche Behandlung für Kinder und Jugendliche anbieten. Bei uns kommen beispielsweise Expertinnen und Experten aus den Bereichen Neurologie, Orthopädie, Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Phoniatrie, Augenheilkunde, Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Psychotherapie, Kinderkardiologie, Neuroradiologie, Arbeitsmedizin, Humangenetik und Neuropathologie zusammen“, führt der Experte aus.
Die Neuropädiatrie beschäftigt sich dabei zum Beispiel mit Kindern und Jugendlichen, die unter Anfallsleiden, Gefäßerkrankungen, entzündlichen Erkrankungen des Nervensystems, neuromuskulären Erkrankungen, Bewegungsstörungen, Fehlbildungssyndromen, Störungen der körperlichen, sprachlichen, sozialen und geistigen Entwicklung und chronischen Erkrankungen leiden. Auch Schmerzerkrankungen gewinnen in der Neuropädiatrie zunehmend an Bedeutung: „Wichtige Fragen betreffen hierbei zum Beispiel den Ausschluss organischer Ursachen, die Etablierung eines langfristigen Behandlungskonzepts, die Erfassung von Begleitproblemen sowie die Diagnose psychosomatischer Beschwerden“, sagt. Prof. Häusler.
JEDES KIND GANZHEITLICH UND INDIVIDUELL BETREUEN
Abhängig von der Art und dem Schweregrad der Erkrankung bietet die Sektion unterschiedliche stationäre und ambulante Behandlungsmöglichkeiten an: Das Team der Neuropädiatrischen Station behandelt zum Beispiel schwere akute Erkrankungen von Kindern, die spezielle stationäre Untersuchungen benötigen, und von Kindern, die zur Abklärung intensiv beobachtet werden müssen. Ein besonderer Schwerpunkt, der aktuell deutlich ausgebaut wird, liegt im Bereich der Epilepsien. So bietet die Neuropädiatrie in Kooperation mit dem Team der Epileptologie der Klinik für Neurologie (Leiterin: Univ.-Prof. Dr. med. Yvonne Weber) ein kontinuierliches Video-EEG-Monitoring an, was die diagnostischen Möglichkeiten deutlich verbessert und auch eine Voraussetzung für epilepsiechirurgische Eingriffe ist.
Die Neuropädiatrische Hochschulambulanz ermöglicht eine langfristige Betreuung betroffener Patienten und Familien. „Dies beinhaltet nicht nur rein medizinische Fragestellungen, sondern auch Beratung zu Kita, Schulwahl, Berufswahl, Führerschein und Verhütung“ ergänzt Dr. med. Ute Deutz, Oberärztin der Neuropädiatrischen Hochschulambulanz. Als besondere interdisziplinäre Behandlungsschwerpunkte haben sich an der Uniklinik RWTH Aachen zudem das Neuromuskuläre Zentrum und das Neurovaskuläre Zentrum etabliert.
SOZIALPÄDIATRIE ALS AMBULANTE SONDERFORM
Das Sozialpädiatrische Zentrum gilt als Sonderform der interdisziplinären ambulanten Versorgung, die sich seit langem an der Uniklinik RWTH Aachen bewährt hat. Initial lag der Behandlungsschwerpunkt auf neurologischen Erkrankungen. Im Verlauf hat sich dieses Spektrum erweitert, denn auch andere chronische Erkrankungen, wie der Diabetes Mellitus, können zu sozialen oder körperlichen Zusatzbelastungen und letztlich zu Behinderungen führen. „Unser multiprofessionelles Team hilft bei organischen, geistigen und psychischen Problemen bei Kindern und Jugendlichen. Ziel ist es nicht nur, die Symptome der Erkrankung zu lindern, sondern auch auf soziale Probleme einzugehen, die infolge der Erkrankung entstehen können. Ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist dabei die Beratung von Eltern und Angehörigen, um die Förderung des Kindes bestmöglich zu unterstützen“, erklärt die Leiterin des Zentrums, Dr. med. Reinhild Damen.
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Sektion für Neuropädiatrie und Sozialpädiatrie
Leitung: Univ.-Prof. Dr. med. Martin Häusler
Weitere Informationen über die Sektion finden Sie auf der Website der Klinik.