Reine Kopfsache

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Schmerzen können uns übel mitspielen – sind aber überlebenswichtig. 

Autsch – das tat weh! Wer sich verbrennt, schneidet oder anderweitig verletzt, spürt den Schmerz in der Regel sofort und reagiert reflexartig. Die Hand zieht zurück, das Messer wird fallen gelassen, der umgeknickte Fuß wird sofort entlastet. Schmerz löst in Bruchteilen von Sekunden eine Gegenreaktion unseres Körpers aus – und das ist überlebenswichtig. Doch woher kommt der Schmerz, dieses Alarmsignal des Körpers? Wo entsteht er? Und warum bleibt er manchmal oder ist da, wo gar kein Schmerz sein kann?

Das Wichtigste, was man über Schmerz wissen muss, ist in vier Worten gesagt: Schmerz entsteht im Kopf! „Genau deswegen gibt es auch keine eingebildeten Schmerzen“, weiß Prof. Dr. med. Angelika Lampert vom Institut für Physiologie an der Uniklinik RWTH Aachen. Die Wissenschaftlerin beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Schmerz und versucht durch ihre Forschungsarbeiten vor allem denen zu helfen, die chronische Schmerzen haben. Die Schwierigkeit: Schmerz hat viele Dimensionen. Es kommt nicht allein darauf an, ob man körperlich versehrt wird, damit ein Schmerz entsteht.

Doch die körperliche Dimension ist den Köpfen vieler die einzige, weil am besten erklärbare: Registriert unser Körper eine Gefahr, die ihn schädigen könnte oder bereits geschädigt hat, kommt es meist zu Schmerzen. Dieser Weckruf signalisiert: Vorsicht! Wie stark der Schmerz dabei wahrgenommen wird, ist von Mensch zu Mensch, aber auch von Situation zu Situation unterschiedlich. An dieser Stelle spielen bereits die anderen Dimensionen eine Rolle – die soziale, spirituelle und psychische Dimension – die Schmerzen so schlecht messbar und vorhersehbar machen: Ein kleiner Schnitt am Blatt Papier kann nervenzerreißend sein. Andersherum schüttet der Körper in manchen Situationen Botenstoffe aus, die sogenannten Endorphine, um den Schmerz regelrecht zu betäuben. Dies ist oft bei schlimmen Verletzungen, zum Beispiel nach einem Unfall, der Fall. Hier hat der Körper eine Reaktion geschaffen, die es dem Menschen erlaubt, auch bei schweren Verletzungen noch agieren und sich aus einer Gefahr befreien zu können. Aber auch bei Ablenkung, beispielsweise bei einem Sportwettkampf oder vertieft in die Gartenarbeit, kann man sich verletzen und den Schmerz zunächst gar nicht wahrnehmen. Erst beim Blick auf die Wunde fällt dann auf, dass es weh tut. „An solchen Beispielen zeigt sich, dass aktive Nervenfasern noch keinen Schmerz machen – und wie komplex das Thema Schmerz ist“, sagt Prof. Lampert. „Der Kopf kann es schaffen, Schmerzen einfach nicht wahrzunehmen. In der polymodalen Schmerztherapie nutzt man das, um Patienten mit chronischen Schmerzen den Schmerz durch Meditation oder andere Techniken abzutrainieren. Aber auch diese Verfahren haben ihre Grenzen.“ Besonders problematisch ist die andere Seite dieser Medaille: Schmerz wird wahrgenommen, aber die Ursache ist nicht zu sehen – Realität für viele Schmerzpatienten, deren Leiden oft nur unzureichend wahrgenommen wird.

Für die körperliche Dimension des Schmerzes gilt: Wirkt ein besonderer Reiz, wie starke Hitze oder Druck auf den Körper, werden besondere Sinneszellen aktiviert. Diese sogenannten Nozizeptoren liegen fast in jedem Gewebe unseres Körpers (außen in Teilen von Gehirn, Lunge und Leber), vor allem aber in der Haut. Die Nozizeptoren können zwischen mechanischen, thermischen und chemischen Überbelastungen unterscheiden. Durch die Überbelastung wird der Nozizeptor aktiv und sendet ein Aktionspotential entlang der Schmerzbahn. Dieser Vorgang ist als elektrischer Reiz am Nerv messbar. Priv.-Doz. Dr. med. Barbara Namer – Leiterin der Forschungsgruppe „Unterschiedliche Rollen menschlicher Nozizeptorenklassen“ an der Uniklinik RWTH Aachen – arbeitet eng mit Prof. Lampert zusammen und nutzt dieses als Mikroneurographie bekannte Verfahren, um bei Schmerzpatienten zu messen, wie die Aktionspotenziale mit und ohne Stimulation der Nozizeptoren aussehen.

Die Nerven bestehen aus verschiedenen Nervenfasern unterschiedlicher Dicke. Je dicker eine Nervenfaser ist, umso schneller leitet sie die Aktionspotentiale. Zu spüren ist dies bei manchen Verletzungen: Beim Schnitt am Blatt Papier ist der Schmerz zunächst spitz und hell. Es folgt ein etwas dumpferer, brennender Schmerz. Dies ist den unterschiedlichen Nervenfasern geschuldet, die die Informationen unterschiedlich schnell ans Gehirn leiten.

Bevor die Nervensignale im Hirn ankommen, erreichen sie allerdings zunächst das Rückenmark. Hier entsteht der Reflex, der den Körper blitzschnell reagieren lässt – noch bevor wir den Schmerz überhaupt wahrnehmen. Vom Rückenmark aus werden die Signale weiter ans Gehirn geleitet. Erst dort werden die Signale in eine unangenehme Empfindung umgewandelt – den Schmerz. Diese Verarbeitung ist hochkomplex. Unterschiedliche Bereiche des Gehirns sind für unterschiedliche Schritte der Schmerzverarbeitung zuständig. Zunächst kommt es zu einer Weckreaktion, dann wird der Schmerz lokalisiert, schließlich wird die Intensität des Schmerzes wahrgenommen, dann folgt die emotionale Bewertung.

Ähnlich wie bei Bewegungsabläufen kann Schmerz gelernt werden. Durch Wiederholung lernt das Schmerzgedächtnis, sodass wir Schmerzen schneller wahrnehmen, sogar schon bei kleinen Schmerzreizen. Daher ist es auch wichtig, Schmerzen nicht einfach nur zu ertragen, sondern gegen sie anzukämpfen. Manchmal geht dies ganz leicht mit einem Schmerzmedikament. Manchmal ist es schwierig bis unmöglich. Schmerzsyndrome gibt es viele. Manche Menschen haben immer wieder anfallsartig das Gefühl brennender Lava auf der Haut, andere spüren nie Schmerzen und verstümmeln sich selbst, ohne es zu bemerken. Wiederum andere leiden unter chronischen Kopf- oder Rückenschmerzen. „Schmerz ist eines der großen ungelösten Medizinprobleme auf der Welt“, sagt Prof. Lampert. Auch deshalb forscht sie an den Ursachen und vor allem den Wegen, chronische Schmerzen zu stoppen. Die langfristigen Aussichten dafür sind gut: Mittlerweile können die Forschenden wie Prof. Lampert aus Blut Stammzellen und aus diesen Stammzellen Nervenzellen generieren. Diese werden dann im Labor mit Medikamenten zusammengebracht und ihre Aktivierung gemessen werden. So erfahren Patienten ganz individuelle Hilfe. Noch ist dieses Vorgehen in der Versuchsphase. Bis jeder Patient davon profitieren wird, dauert es. Aber der Anfang ist gemacht. Ihren Studierenden gibt Prof. Lampert vor allem eines mit auf dem Weg: Jeder Patient mit Schmerzen muss ernst genommen werden. Denn ob erklärbar oder nicht: Schmerz ist immer real! 

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