28. Mai 2016: Der belgische Radsportprofi Stig Broeckx vom Team Lotto-Soudal fährt die dritte Etappe der Belgien-Rundfahrt. Auf einer Abfahrtsstrecke stoßen vor ihm zwei Motorräder zusammen, in der Folge stürzen 19 Radfahrer zu Boden, darunter auch Stig Broeckx. Schnell ist klar: Ihn hat es am härtesten erwischt. Der damals 25-Jährige wird noch am Straßenrand medizinisch versorgt und anschließend mit einem Hubschrauber in die Uniklinik RWTH Aachen geflogen.

Heute steht fest: Die schnelle Einlieferung in die Uniklinik war genau die richtige Entscheidung. Denn hätte sein damaliger Rennarzt anders gehandelt, hätte Stig den Unfall vielleicht nicht überlebt. Durch das Schädel-Hirn-Trauma erlitt der Radprofi eine schwere Hirnblutung. Das Team der Klinik für Neurochirurgie unter Leitung von Univ.-Prof. Dr. med. Hans Clusmann zögerte nicht lange und startete eine Entlastungsoperation. Dadurch wurden die zu hohen Hirndruckwerte stabilisiert und Stig anschließend ins künstliche Koma versetzt.
Die medizinische Behandlung von traumatischen Verletzungen des zentralen Nervensystems wird als Neurotraumatologie bezeichnet. Dabei unterscheiden Ärztinnen und Ärzte zwischen der kranialen (Kopf) und spinalen (Wirbelsäule) Neurotraumatologie. In beiden Fällen sind eine zügige Diagnose und Behandlung entscheidend, denn Verletzungen des zentralen Nervensystems können oft weitreichende Folgen haben. Im besten Fall kommen Betroffene mit einer leichten Gehirnerschütterung davon, aber auch Querschnittlähmung oder bleibende neurologische Beeinträchtigungen können das Resultat sein.
Das Schädel-Hirn-Trauma (SHT) von Stig Broeckx zählt zur kranialen Neurotraumatologie. Ein halbes Jahr lang lag der junge Belgier im Koma, erst in der Uniklinik RWTH Aachen, dann im Universitätsklinikum Lüttich. „Anschließend wurde ich ein halbes Jahr lang intensiv rehabilitiert, bevor ich wieder klar denken konnte“, erzählt Stig heute. Erinnerungen an den Unfall hat er keine, genau wie an die fünf Jahre davor. Die sogenannte retrograde Amnesie ist eine häufige Spätfolge eines SHT. Manchmal können einzelne Momente jedoch als „Aha-Erlebnisse“ zurückkommen.
Nach einem Jahr konnte Stig das Krankenhaus verlassen. Ein wichtiger Schritt für ihn, denn: „Meine Entwicklung hat sich erst enorm verbessert, als ich mehr in der Welt stand“. Trotzdem bestimmt die Reha seinen Alltag. Der junge Mann fährt zu dieser Zeit jeden Tag mit dem Taxi zum Rehabilitationszentrum, um dort Übungen zu machen. Neben Physiotherapie stehen auch Ergotherapie, Logopädie und Psychotherapie auf dem wöchentlichen Plan. Über die Jahre wurden die Behandlungen immer weiter reduziert, dreimal in der Woche Physiotherapie und Logopädie wird Stig jedoch sein Leben lang absolvieren müssen.
Auch abseits der Reha ist nichts mehr wie zuvor. An Spitzensport ist nicht zu denken, er muss Sprechen lernen und seinen Führerschein nachholen. Als besonders frustrierend empfindet er, dass viele Menschen sprachbehinderte Personen als minderwertig abstempeln. Eine mental herausfordernde Zeit. Wie er die so gut gemeistert hat? „Glücklicherweise habe ich meine Spitzensportlermentalität beibehalten“, berichtet Stig. „Ich habe ständig Übungen zur Verbesserung meiner Körperbeherrschung gemacht und mit Charakterstärke und Durchhaltevermögen ein akzeptables Niveau erreicht.“ Dass er heutzutage wieder mitten im Leben steht, verdankt er allen behandelnden Medizinerinnen und Medizinern, Logopäden und Physiotherapeuten, aber vor allem auch sich selbst.
Fast zehn Jahre nach dem Unfall, im August 2025, hat Stig Broeckx die Klinik für Neurochirurgie an der Uniklinik RWTH Aachen erneut besucht. „Ich wollte alles mit eigenen Augen sehen, wo ich gelegen hatte, und mich persönlich bei den Menschen bedanken, die für mich entscheidend waren.“ Denn im interdisziplinären Kontext eines Unfalls spielt die Intensivmedizin eine besondere Rolle: Bevor Betroffene an Kolleginnen und Kollegen aus der inneren Medizin oder der Physiotherapie übergeben werden können, müssen zuerst Kopf und Wirbelsäule außer Gefahr gebracht werden. Die Operative Intensivstation (OIM) ist somit die erste und wichtigste Anlaufstelle, um das Schlimmste zu verhindern. Professor Clusmann und sein Team freuten sich sehr über den Besuch ihres ehemaligen Patienten. „Er bleibt immer optimistisch und hat den notwendigen Sportsgeist – Aufgeben ist für ihn keine Option. Das finde ich sehr beeindruckend“, lobt Prof. Clusmann.
Mittlerweile erwarten Stig und seine Verlobte ihr zweites Kind. Seine Erlebnisse der letzten zehn Jahre hat der 35-Jährige in einem Buch festgehalten: „Zeg nooit nooit“ (Sag niemals nie). Wie er heutzutage über den Radsport denkt? „Wie jeder Flame bin ich sehr an diesem Sport interessiert und finde darin meine Entspannung“, so Stig. Eines seiner großen Ziele, wieder auf das Fahrrad zu steigen, hat er bereits erreicht. Daran erkennt man immer noch den Spitzensportler, ein Kämpfertyp eben. „Meine Pläne für die Zukunft sind aber vor allem, mein Leben schön und angenehm weiterzuführen. Ich freue mich sehr auf meine zweite Tochter.“
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