Die Mutmacherin

Immer ein Lächeln auf den Lippen und einen fl otten Spruch auf Lager – das ist Lena Schäfer. Für Außenstehende kaum vorstellbar, schließlich arbeitet sie als examinierte Kinderkrankenpfl egerin auf der Kinderkrebsstation an der Uniklinik RWTH Aachen. Doch sie weiß: Mitleid und Trauer helfen den jungen Patienten nicht weiter.

Ein kleiner Junge mit Mütze saust mit einem Bobby-Car über den Spielplatz, während ihm sein Papa dabei zuschaut. Der Junge strahlt ihn an und hat sichtlich Spaß. Doch hinter dieser gewöhnlich anmutenden Alltagssituation verbirgt sich eine tragische Geschichte. Beim Spielplatz handelt es sich um den Dachgarten der Kinderkrebsstation der Aachener Uniklinik, die Mütze trägt der Kleine, weil er keine Haare hat. Leukämie, so lautet seine Diagnose. „Er ist sehr krank, aber trotzdem ein ganz normaler Junge, der toben möchte.“ So sieht es Lena Schäfer, die die Bedürfnisse ihrer kleinen Patienten bestens kennt. Seit 2013 arbeitet sie auf der Kinderonkologie und hat viel Leid, aber noch mehr Freude erlebt. „Wir machen zwischendurch immer wieder Quatsch mit den Kindern. Bei der WM haben wir zum Beispiel die Glatzen bemalt, das fanden die Kleinen richtig cool“, berichtet sie. Manchmal ziehe sie auch bewusst unterschiedliche Socken an, um die Kinder aufzuheitern. „Sie denken dann, ich Schussel hätte mich vertan. Dementsprechend groß ist natürlich das Gelächter“, sagt sie augenzwinkernd.

Gemeinsam Ziele setzen

Lena und ihre Kolleginnen und Kollegen wollen den jungen Krebspatienten so gut es geht vermitteln, dass es eine Zukunft gibt. Schon zu Anfang der Behandlung arbeiten alle gemeinsam auf das Ende der Therapie hin und setzen individuelle Ziele mit den Kindern und Jugendlichen – vom Sommerurlaub über einen Surfkurs bis hin zum Fallschirmsprung ist alles dabei. Diese Ziele bestärken die Kinder in ihrem Glauben an die Therapie. Im Laufe der Zeit hat Lena schon viele „kleine Kämpfer“ kennengelernt, wie sie sagt. „Diese jungen Menschen haben einen richtigen Überlebenswillen. Das macht die Arbeit mit ihnen so schön“, schwärmt die gebürtige Siegenerin. Das Wichtigste sei Ehrlichkeit, um das Vertrauensverhältnis nicht zu beschädigen. „Die Kids merken sofort, wenn man ihnen nicht die Wahrheit sagt. Ich staune immer wieder über ihr feines Gespür.“ Gespür beweisen sie vor allem dann, wenn die Therapie nicht anschlägt. „Sie fühlen, wenn sie gehen müssen. Manchmal können sie den Abschied sogar noch herauszögern – weil ihre Eltern noch nicht dafür bereit sind oder sie ihr selbst gestecktes Ziel erreichen wollen.“ Und dann berichtet Lena von einer neunjährigen Patientin und deren ganz persönlichem Ziel: Unbedingt dabei zu sein, wenn auf dem elterlichen Hof das neue Fohlen geboren wird. Das Mädchen konnte die Geburt miterleben, sie war unheimlich glücklich darüber. Nur 45 Minuten später verstarb sie. Gänsehaut und einen Augenblick Stille – da muss man erst einmal schlucken.

Starker Zusammenhalt im Team

„Das sind ganz bittere Momente, die uns Pflegekräften sehr nahegehen“, sagt Lena. Umso wichtiger sei der Austausch innerhalb des aus Ärzten, Pflegekräften, Psychologen und Sozialarbeitern bestehenden Teams; auf der Arbeit sowieso, aber auch privat. Im Laufe der Zeit sind viele Freundschaften entstanden. Man trifft sich abends zum Grillen oder verbringt einen netten Kinoabend. „Das ist als Ausgleich zu unserem Job unbedingt notwendig“, betont Lena. Ihr Credo lautet: „Ich muss auf mich achten, es muss mir gut gehen. Nur so kann ich meinen Patienten helfen.“

„Nix für Weicheier“

Dieser innere Antrieb, anderen zu helfen, hat sie als 16-Jährige ein Praktikum auf einer onkologischen Station machen lassen. Ihr Umfeld glaubte anfangs nicht daran, dass sie es schaffen würde. Aber die heute 36-Jährige wusste sofort: „Das ist genau mein Ding! Pflege ist eine Berufung, das ist nicht nur so ein dahergesagter Spruch.“ Zu Lenas pflegerischen Tätigkeiten gehören unter anderem die Unterstützung bei der Körperpflege und die Lagerung der Patienten sowie die Medikamentengabe und das Verabreichen von Spritzen. Ebenfalls wichtig ist die pflegerische Dokumentation, zum Beispiel zur genauen Patientenbeobachtung. Das Beraten und Anleiten der Kinder und Eltern in dieser für sie neuen und schwierigen Situation hat dabei einen sehr hohen Stellenwert. In der Pflege der Kinder und Jugendlichen ergeben sich aber auch Herausforderungen. In diesem Zusammenhang gewährt Lena einen Einblick in dessen anstrengende Seiten. „Die älteren Jungs sind teilweise einen Meter neunzig groß und wiegen 80 Kilogramm, entsprechend schwer ist das Anheben.“ Neben der körperlichen Anstrengung hat sie hin und wieder mit den seelischen Herausforderungen zu kämpfen. „Auf unserer Station muss man hart im Nehmen sein, der Job ist definitiv nichts für Weicheier.“ Manche Kinder haben gerade erst das Licht der Welt erblickt, da diagnostizieren die Ärzte schon einen Hirntumor. Andere stehen kurz vor ihrem 18. Geburtstag und würden lieber mit ihren Freunden Party machen, als das Bett zu hüten. Die große Altersspanne verlangt Lena ein hohes Maß an Flexibilität ab: Kuscheln mit den Babys auf der einen Seite, Diskutieren mit den jungen Erwachsenen auf der anderen. Unabhängig vom Alter haben alle ihre Eigenarten, auf die sich Lena einstellen muss. „Das ist manchmal eine ganz schöne Herausforderung, der ich mich aber jedes Mal aufs Neue gerne stelle“, sagt sie.

„Pflege ist eine Berufung, das ist nicht nur so ein dahergesagter Spruch.“

Auch Eltern brauchen Unterstützung

Hinzu kommen die Ängste und Sorgen der liebenden Eltern. Oft stehen sie vor dem Untersuchungsraum und weinen bitterlich, weil sie ihr Kind den Ärzten anvertrauen müssen und das Ergebnis fürchten. Dann ist Lena zur Stelle. Sie macht Mut, tröstet, spendet eine Umarmung. „Teilweise sind das ja wildfremde Menschen. Sie kommen danach noch mal zu mir und sagen: ‚Danke, dass Sie im entscheidenden Moment für mich da waren.‘ Das gibt mir unheimlich viel zurück“, erzählt die Pflegekraft. Selbst nach Jahren können sich die Eltern noch an sie erinnern und sprechen sie bei einer Begegnung auf der Straße an. Manche Kinder hingegen haben sie trotz eines monatelangen Stationsaufenthalts vergessen – ein Schutzmechanismus, um die schlimme Zeit verdrängen und die wiedergewonnene Normalität genießen zu können. Das trifft auf rund 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit Leukämien zu – so hoch ist der Anteil derer, die geheilt werden können. Doch nicht immer ist es mit einer Therapie getan. Lena sieht einige Patienten ein zweites oder drittes Mal wieder, weil der Krebs zurückgekehrt ist. „Das sind Momente, in denen ich gemeinsam mit den Kindern weine und nicht fassen kann, dass sie das alles noch einmal mitmachen müssen.“

Dankbarkeit für die kleinen Dinge

Und wenn sich zwischendurch mal die Verzweiflung breitmache, dann führe sie sich vor Augen, wie gut es ihr eigentlich gehe: „Wenn mich die Arbeit mit den kranken Kindern und Jugendlichen eines gelehrt hat, ist es dankbar zu sein. Dankbar für die eigene Gesundheit, eine unbeschwerte Kindheit und Jugend, für Familie und Freunde – und den besten Job der Welt.“

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