Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Die Diagnose macht vielen Angst – bei Sarah Lange* wurde sie gleich zwei Mal Realität. Auf beiden Seiten diagnostizierten Ärztinnen und Ärzte unterschiedliche Formen von Brustkrebs und entfernten beide Brüste operativ. Ihr Behandlungsweg war mit mehreren Operationen und Komplikationen verbunden – erst die Brustrekonstruktion mit Eigengewebe in der Klinik für Plastische Chirurgie, Hand- und Verbrennungschirurgie an der Uniklinik RWTH Aachen verhalf ihr zu einem schmerzfreien und natürlichen Ergebnis. Im Gespräch mit apropos erzählt sie, welchen Behandlungsweg sie durchlaufen hat und wie es ihr heute geht.
Die erste Diagnose erhielt Sarah Lange im Herbst 2019: Sie hatte beim Abtasten ihrer Brust auf der rechten Seite eine Verhärtung entdeckt. Ein Besuch bei der Frauenärztin brachte Gewissheit – die Untersuchungsergebnisse des Brustzentrums wiesen auf das sogenannte DCIS (Ductales Carcinoma in situ) hin, eine in den Milchgängen angesiedelte Frühform von Brustkrebs. Bei dieser Frühform sind die Zellen noch nicht in das umliegende Gewebe eingedrungen, jedoch liegt ein hohes Risiko für die Entwicklung eines sogenannten Mammakarzinoms vor. Sie wird im November 2019 mittels der sogenannten „nipple sparing Mastectomy“ operiert. Ärztinnen und Ärzte entfernen bei dieser Operationsform die gesamte Brustdrüse unter Erhalt des Hautmantels und der Brustwarze. Im Anschluss wird ihre Brust mittels eines Implantates wiederhergestellt.
Im Mai 2021 folgt dann der zweite Schock. „Die Veränderung in der Brust habe ich auch dieses Mal selbst durch Abtasten bemerkt. Meine Frauenärztin hat meine Befürchtungen bestätigt. In der linken Brust hat sich ein invasives lobuläres Karzinom entwickelt, hormonell bedingt“, erzählt Sarah Lange. Das invasive lobuläre Mammakarzinom hat den Ursprung in den Drüsenläppchen. Welchen Ursachen die Entstehung von Brustkrebs zugrunde liegt, ist nicht abschließend geklärt. Sicher ist jedoch, dass verschiedene Einflüsse auf die Entstehung der Erkrankung einwirken. Bei mehr als zwei Dritteln aller Frauen liegt ein sogenannter „hormonrezeptorpositiver“ Tumor zugrunde. Die weiblichen Geschlechtshormone können bei manchen Frauen das Wachstum von Krebszellen antreiben, so auch bei Sarah Lange.
Früherkennung ist wichtig
Sie hat Glück: Der Brustkrebs kann früh diagnostiziert werden, der Tumor hat sich noch nicht auf die Lymphknoten ausgedehnt. Denn meist sind zunächst die Axilla-Lymphknoten befallen, bevor sich der Krebs auf weitere Organe ausweitet. Die Diagnose hat Sarah Lange dem eigenen Abtasten der Brust zu verdanken. Die Selbstuntersuchung zu Hause ist eine Methode, um Veränderungen wie Knoten in der Brust zu bemerken. „Sie ersetzt allerdings nicht die Teilnahme an bildgebenden Untersuchungen zur Früherkennung“, sagt Dr. med. Katja Krauß, die gemeinsam mit Univ.-Prof. Dr. med. Elmar Stickeler den Standort Uniklinik des Brustzentrums Aachen-Stadt leitet. Im Rahmen des Mammografie-Screenings sollten Frauen im Alter zwischen 50 und 69 Jahren alle zwei Jahre eine Mammografie durchführen lassen. Nach einer Brustkrebserkrankung wird die Mammografie jährlich empfohlen, gemäß Befunden und Risikoprofil kommen weitere Diagnostikmaßnahmen, wie Mamma-Sonografie oder MR-Mammografie zum Einsatz.
Ein schwerer Weg
Auch in diesem Fall wird sie mit der „nipple sparing Mastectomy“ operiert und die linke Brust durch eine Prothese ersetzt. Für Sarah Lange gibt es in dieser Zeit vieles zu verarbeiten: Nicht nur die Operationen, sondern auch die Diagnose Krebs und der Verlust ihrer natürlichen Brüste. „In beiden Fällen war die Diagnose ein großer Schock. Beim zweiten Mal war es noch schlimmer, da ich die Diagnose zeitgleich mit einem Todesfall innerhalb meiner Familie verarbeiten musste. Auch wenn die Zeit vergeht, das Wort Krebs verblasst nicht. Natürlich mache ich mir auch Sorgen um meine Zukunft“, fasst sie ihre Gefühle zusammen.
Leider bleibt Sarah Lange die Möglichkeit verwehrt, die Diagnose abschließend zu verarbeiten. Denn nach der Operation treten mit ihrem rechten Implantat Probleme auf. „Ich hatte das Gefühl, ich habe einen Klotz auf der Brust, verbunden mit einem Spannungsgefühl. Beim Liegen hatte ich Schmerzen. Ich dachte, dass meine Narbe das Ganze verursacht“, erzählt sie. Wie sich beim Arzt herausstellt, ist der tatsächliche Auslöser ihrer Schmerzen eine Kapselfibrose. „Die Bildung einer Kapsel ist nach dem Einsetzen eines Implantates ein normaler Vorgang des Körpers. Nach der Operation bildet sich rund um das Implantat eine Kapsel, die aus Narbengewebe besteht. In der Regel ist die Kapsel zunächst elastisch und weich. Im Verlauf kommt es jedoch bei einigen Patientinnen zu einer zunehmend festen Konsistenz, häufig begleitet von einem Zusammenziehen. Leider ist nicht vorsehbar, in welchem Zeitrahmen sich diese Entwicklung abspielt“, erklärt Univ.-Prof. Dr. med. Justus P. Beier, Direktor der Klinik für Plastische Chirurgie, Hand- und Verbrennungschirurgie an der Uniklinik RWTH Aachen. Aus der bis heute größten Längsschnittstudie im Jahr 2019 geht hervor, dass bereits nach sieben Jahren bei 50 Prozent aller Implantatrekonstruktionen Komplikationen aufgetreten sind. Bei rund 25 Prozent der Patientinnen kam es zu einer Kapselfibrose, die eine Prothesenentfernung erforderlich machte. „Aus dieser und vorausgegangenen Studien ergibt sich vor allem eine erfolgte oder geplante Bestrahlung als Risikofaktor für die Entstehung einer Kapselfibrose“, erklärt der Plastische Chirurg.
Brustrekonstruktion mit Eigengewebe
Sarah Lange wird nach vorheriger ausführlicher ambulanter Beratung schließlich in der Klinik für Plastische Chirurgie, Hand- und Verbrennungschirurgie aufgenommen und von Klinikdirektor Prof. Beier und seinem Team operiert. „Aufgrund der bereits fortgeschrittenen Kapselfibrose wäre der theoretisch denkbare Prothesenwechsel keine vielversprechende Alternative gewesen. Das Risiko für das erneute und noch schnellere Entstehen einer Kapselfibrose wäre zu hoch gewesen. Zudem bestand bei der Patientin der klare Wunsch nach einem alternativen Verfahren zum Brustaufbau. Auf der linken Seite hingegen fand sich weiterhin ein sehr gutes kosmetisches Ergebnis ohne Zeichen einer Kapselfibrose, so dass hier der nachvollziehbare Wunsch nach Belassung der Prothese bestand“, erläutert Prof. Beier. Im Rahmen der ambulanten Gespräche diskutierten Prof. Beier und sein Team auch alternative Entnahmestellen am Körper der Patientin. Bei ausreichender Verfügbarkeit des Gewebes bietet sich jedoch in der Regel der Unterbauch als Entnahmestelle an.
„Die ersten Tage nach der Operation waren etwas anstrengend, vor allem die stündlichen Durchblutungskontrollen in den ersten beiden Tagen und Nächten. An Schlaf war dann natürlich wenig zu denken“, erzählt Sarah Lange schmunzelnd. „Anfangs hatte ich noch Schmerzen, die von den Drainagen verursacht wurden. Als die gezogen werden, ging es mir schnell besser.“ Knapp eine Woche nach der Operation wird sie aus der Klinik entlassen. Sie erholt sich gut, ihr Gesundheitszustand bessert sich rasch. Schon kurz nach der Operation kann sie wieder aufrecht gehen, auch das Spannungsgefühl lässt schnell nach. „Der große Vorteil der Eigengewebsrekonstruktion ist natürlich, dass es auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten zu keinerlei Fremdkörperreaktion oder Abstoßung kommen kann. Das heißt, wenn die Patientin die ersten zwei bis drei Wochen der Heilung komplikationslos überstanden hat, können keine Komplikationen mehr folgen. Darüber hinaus fühlt sich die Brust laut den Patientinnen immer sehr natürlich und zum eigenen Körper gehörig an. Das kann bei der Prothese zwar auch der Fall sein, jedoch empfindet das nicht jede Patientin so und hier besteht eben auch das Risiko einer Kapselfibrose“, sagt der Klinikdirektor.
Wie bei jeder Operation gibt es auch bei dem Verfahren der Eigengewebsrekonstruktion spezifische Eigenheiten und Komplikationsmöglichkeiten, führt Prof. Beier aus: „Verglichen mit der Implantation einer Prothese ist die Operation mit Eigengewebe mit einer Dauer von circa vier bis fünf Stunden ein etwas längerer Eingriff. In circa ein Prozent der Fälle kann es zu einer unzureichenden Durchblutung des Eigengewebstransplantates kommen, die leider nicht immer wiederhergestellt werden kann. Hier müssen wir dann auf ein alternatives Verfahren zurückgreifen. In der Summe erreichen wir jedoch in der weitaus überwiegenden Mehrzahl ein sehr zufriedenstellendes Ergebnis für die Patientinnen, das ‚lebenslang‘ hält. Die gesamte Heilungszeit beträgt im Normalfall zwei bis drei Wochen, bis leichte körperliche Tätigkeiten oder eine Berufstätigkeit an einem Schreibtisch wieder aufgenommen werden kann. Mit Sport und stärkeren körperlichen Belastungen können Patientinnen in der Regel nach sechs Wochen beginnen – ein Zeitraum, der in der Regel auch nach der Implantation von Silikongelprothesen einzuhalten empfohlen wird“.
Endlich wieder ein natürliches Gefühl
Sarah Lange versucht nun, ihre Behandlung aufzuarbeiten. Schon im Sommer 2021 besuchte sie eine onkologische Reha in Bayern, seit Anfang August ist sie wieder in der Einrichtung. Das tut ihr sehr gut, sagt sie. „Hier redet man nicht nur über die Krankheit, das ist eine schöne Abwechslung. Wir unternehmen viel, gehen zusammen wandern. Auch die schöne Alpenlandschaft hilft dabei, mal die Seele baumeln zu lassen“, berichtet sie. Nach der Operation an der Uniklinik RWTH Aachen erholt sie sich nun langsam – körperlich und seelisch: „Ich habe endlich wieder das Gefühl, eine richtige Brust zu haben. Ich habe keine Schmerzen mehr und alles fühlt sich ganz natürlich an. Auch psychisch geht es mir besser, seit ich auf dieser Seite keinen Fremdkörper mehr in mir trage. Ich würde die Rekonstruktion mit Eigengewebe anderen Patientinnen uneingeschränkt weiterempfehlen.“
*Name von der Redaktion geändert