Chronische Schmerzen: Wege aus der Schmerzfalle

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In Deutschland leiden über drei Millionen Menschen unter chronischen Schmerzen. Viele Betroffene ziehen sich aus ihrem Berufs- und Sozialleben zurück und empfinden ihre Situation als ausweglos. Die Suche nach Hilfe gestaltet sich für sie oft schwierig: Sie werden von Arzt zu Arzt geschickt und finden keine effektive Linderung ihres Leidens. Doch die Situation ist nicht ausweglos: Moderne Schmerztherapiekonzepte können eine wirksame Schmerzreduktion ermöglichen. Eine gute Anlaufstelle für Betroffene sind Schmerzambulanzen oder -kliniken, denn hier arbeiten medizinische Fachkräfte, die sich auf die Behandlung chronischer Schmerzen spezialisiert haben.

Gefühle wie Stress und Angst kennen Betroffene einer chronischen Schmerzerkrankung nur allzu gut. Aus Angst vor weiteren Schmerzen schonen sie sich oft und ziehen sich aus gesellschaftlichen Aktivitäten und von Ihren Kontakten zurück. Mit der Belastung gehen häufig Probleme wie Depressionen sowie Schlaf- und Angststörungen einher. In ihrem Leid fühlen sich viele Schmerzpatienten oft nur unzureichend wahrgenommen. Das Problem liegt hierfür auch in der medizinischen Versorgung: Bei Schmerzen ohne eine direkt feststellbare Ursache fehlt oft der Ansatzpunkt für einen Behandlungsansatz. Die Patientinnen und Patienten fühlen sich alleingelassen.

Schmerzen, die sich in das Gedächtnis einbrennen
Doch wie wird aus einem akuten Schmerz ein dauerhaftes Problem? Ein akuter Schmerz – so stark er auch sein mag – geht relativ schnell wieder vorüber. Chronische Schmerzen hingegen können auch weiterhin kontinuierlich auftreten, obwohl die ursprünglich zugrundeliegende Verletzung oder Erkrankung, welche die Schmerzen verursacht hat, bereits verheilt oder wieder abgeklungen ist. Die sinnvolle Warn- und Schutzfunktion für den Körper übernimmt diese Art der Schmerzen nicht mehr – die chronischen Schmerzen selbst werden zu einer Erkrankung. Für sie ist daher kennzeichnend, dass sie dauerhaft auftreten und typischerweise bereits länger als sechs Monate bestehen. Bei den Betroffenen ist in den Fällen das körpereigene Schmerzsinnsystem erkrankt. Vergleichbar ist der Effekt mit einem Tinnitus: Obwohl von außen kein akustischer Reiz besteht, hören die Erkrankten dauerhaft einen Ton. Bei chronischen Schmerzpatienten treten ebenfalls anhaltende Erregungen in ihrem Schmerzsinnsystem auf, die möglicherweise ein dauerhaftes Schmerzempfinden auslösen. Zudem können im zentralen Nervensystem neue Nervenendungen entstehen, die zu einer Übererregung und einer potenziellen durchgehenden Aktivierung von Erregungskreisläufen führen. Dadurch verursachen selbst schwache Reize zu starken Schmerzen, es bildet sich eine sogenannte Gedächtnisspur, häufig auch Schmerzgedächtnis genannt. Das Problem verfestigt sich mit der Zeit: Mit der Gabe einfacher Schmerzmittel kann diesen Patientinnen und Patienten nicht mehr geholfen werden. Das „Löschen“ des Schmerzgedächtnisses gestaltet sich als komplexer Prozess.

Schmerzambulanzen: Hilfe durch Schmerz-Spezialisten
In den letzten Jahrzehnten haben sich die Therapieansätze für Menschen mit chronischen Schmerzen weiterentwickelt. Schmerztherapeutisch qualifiziertes Fachpersonal finden Betroffene insbesondere in speziellen Schmerzkliniken oder Schmerzambulanzen. Neben der breiten Erfahrung im Umgang mit dem chronischen Schmerzsyndrom ist dort die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Fachdisziplinen etabliert. Von den Herausforderungen, die mit der Behandlung einhergehen, weiß auch Dr. med. Christoph Mitschke, Ärztlicher Leiter der Schmerzambulanz der Uniklinik RWTH Aachen: „Zu den Beschwerden unserer Patientinnen und Patienten zählen vor allem Kopf-, Rücken-, Gelenk-, Gesichts-, Tumor- oder Phantomschmerzen. Die chronischen Schmerzen können aber auch in Form einer sogenannten primären Schmerzerkrankung auftreten. Dazu zählen typischerweise Kopfschmerzarten wie Migräne oder Spannungskopfschmerzen. Entscheidend für die weitere Behandlung ist die ausführliche Anamnese: Da wir die Schmerzen nicht messen können, muss jeder Patient seine Schmerzen zunächst genau beschreiben und die Stärke einschätzen. Dafür nutzen wir Fragebögen und ausführliche Gespräche, in denen wir alle Lebensbereiche der Betroffenen beleuchten. Nach der umfangreichen Anamnese besprechen wir gemeinsam mögliche Therapieansätze und entwickeln ein individuelles Behandlungskonzept.“

Interdisziplinäre Zusammenarbeit
So vielseitig die Gründe und Einflussfaktoren chronischer Schmerzen sind, so komplex ist auch die adäquate Therapie. „Bei der Entstehung der Schmerzen sind neben den biologischen Mechanismen auch komplexe soziale, psychische und genetische Einflussfaktoren individuell von größerer Bedeutung. Daher treten die chronischen Schmerzen bei einigen auf, während sie bei anderen mit dem Abklingen der Erkrankung verschwinden. Heutzutage fokussieren wir uns in der Therapie stärker als früher auf das Zusammenspiel mit der Psyche. Wir verstehen Schmerz als ein erlebtes Symptom und ein komplexes Sinnes- und Gefühlserlebnis. Mit einer rein medikamentösen Therapie wird man daher bei den meisten nur begrenzte Erfolge erzielen“, meint Dr. Mitschke. Die Lösung aus Sicht des Spezialisten sind sogenannte multimodale Therapiekonzepte. Grundlage für diesen Ansatz ist das Verständnis, den chronischen Schmerz als eine eigenständige Krankheit zu betrachten. Dafür kombiniert das behandelnde Personal fächer- und methodenübergreifend verschiedene Therapiebausteine. Sie wählen sie gemeinsam aus und stimmen sie aufeinander ab. Die Therapie findet anschließend im Rahmen einer teilstationären oder ambulanten Behandlung statt. „Die unterschiedlichen Expertinnen und Experten unseres Teams stellen ihr Wissen gemeinsam den Erkrankten zur Verfügung. Dabei beziehen wir somatische, also körperbezogene, und psychologische Therapieformen mit ein. Wir besprechen uns in Schmerzkonferenzen, schreiben einen Behandlungsplan und stecken gemeinsam therapeutische Ziele und Verlaufskontrollen ab. Entscheidend für den Erfolg des multimodalen Therapieansatzes ist, dass Ärztinnen und Ärzten mit Physiotherapeuten, Sporttherapeuten, Ergotherapeuten und Psychologen zusammenarbeiten. Für welchen Patienten sich welche Therapiebausteine am besten eignen könnten, ist Teil der Auswertung der Anamnese. Wir setzen dabei zum Beispiel auch auf Verhaltenstherapie und Entspannungsverfahren. Doch die Patientinnen und Patienten brauchen auch Geduld, wir müssen uns oft herantasten, welche Therapie am besten anschlägt“, sagt Dr. Mitschke.

Schmerzmedikamente als wichtiger Baustein
In der Behandlung des chronischen Schmerzsyndroms ist in der Regel eine medikamentöse Schmerztherapie zentral, weil sie das Ziel verfolgt, direkt in den Schmerzmechanismus einzugreifen. Die Medikamente haben sich in den letzten Jahrzehnten immer weiter verbessert, weswegen die Behandelnden über eine große Auswahl verfügen. Hierbei sollten Patientinnen und Patienten darauf achten, dass die behandelnden Ärzte über eine spezielle Weiterbildung, die „spezielle Schmerztherapie“ verfügen. Im Rahmen dieser ärztlichen Zusatzqualifikation vertiefen die Mediziner ihr Wissen über verschiedenste Aspekte der medikamentösen Schmerztherapien. Das Ziel bleibt nämlich immer das Gleiche: Die effektive Reduktion der Schmerzen und die Reduzierung der Beeinträchtigungen für die Betroffenen. Da mit der Medikamenteneinnahme auch unerwünschte Nebenwirkungen auftreten können, ist immer eine Abwägung zwischen dem Nutzen, den Nachteilen und den potenziellen Risiken erforderlich. „Die Patientinnen und Patienten dürfen keine schnelle und komplette Reduktion ihrer Schmerzen erwarten. In der Regel müssen wir gemeinsam kleine Schritte gehen. Für uns ist das erste Ziel, dass die Schmerzen kontrollierbar werden und auszuhalten sind. Dadurch wollen wir die Lebensqualität der Patienten verbessern. Sie müssen offen für die Therapiekonzepte sein und sich bei denjenigen Bausteinen, bei denen es notwendig ist, aktiv einbringen. Bei vielen Betroffenen erreichen wir so eine effektive Kontrolle der Schmerzerkrankung und eine gute Schmerzbewältigung“, so Dr. Mitschke.

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