Bipolare Störungen: ein Leben zwischen Depression und Manie

Bipolare Störung
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Zwischen „himmelhoch jauzend und zu Tode betrübt“: Für Erkrankte mit einer bipolaren Störung gehören solche Formen extremer Stimmungsschwankungen zum Alltag. Bipolare Störungen, auch manisch-depressive Erkrankungen genannt, zählen mit rund 1,5 bis 3 Prozent Betroffenen in Deutschland zu den relativ weit verbreiteten psychischen Erkrankungen. Wie sich die Krankheitsepisoden äußern, wie eine Diagnosestellung erfolgt und welche Therapiemöglichkeiten es gibt, erklärt Ihnen apropos.

„Eine bipolare Störung zeichnet sich durch krankhafte Stimmungsveränderungen aus, bei denen sich Phasen der Manie und der Depression episodisch abwechseln. Manische und depressive Krankheitsepisoden treten in der Regel zeitversetzt auf, die Symptomatik unterschiedlicher Polarität kann sich jedoch auch im Rahmen der sogenannten gemischten Episoden überschneiden“, erklärt die Stellvertretende Klinikdirektorin der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Uniklinik RWTH Aachen, Univ.-Prof. Dr. med. Irene Neuner. In diesem Fall leiden Betroffene nicht nur unter gedrückter Stimmung und Niedergeschlagenheit, sondern zusätzlich auch unter massiven Unruhezuständen. Die Erkrankung kann sehr unterschiedlich verlaufen: Manche Patienten erleiden nur wenige, relativ milde Krankheitsepisoden und sind wenig eingeschränkt in der eigenständigen, selbstbestimmten Lebensführung, während andere zahlreiche, langanhaltende und therapieresistente Krankheitsepisoden haben, was mit insgesamt stark reduzierter Lebensqualität verbunden ist.

Auslöser: genetische oder biologische Faktoren

Die Hintergründe der Entwicklung bipolarer Störungen sind multifaktoriell: Wir sprechen hier von einer bio-psycho-sozialen Krankheitsgenese. Genetische oder biologische Einflüsse spielen eine besonders wichtige Rolle: Für Kinder eines erkrankten Elternteils besteht eine Wahrscheinlichkeit von 10-20 Prozent ebenfalls eine bipolare Störung zu entwickeln. Leiden beide Elternteile an der Erkrankung, steigt diese Wahrscheinlichkeit auf bis zu 60 Prozent. Zahlreiche Forschungsteams haben bis jetzt vielfältige biologische Auffälligkeiten bei bipolaren Störungen gefunden, sowohl auf der Ebene veränderter Neurotransmission, gestörter Signalübertragung und Konnektivität, dennoch besteht hier weiterhin der Bedarf nach intensiven weiteren Untersuchungen.

In der Regel treten die ersten Symptome einer bipolaren Störung zwischen dem zwanzigsten und dreißigsten Lebensjahr auf. Wesentlich seltener kann es bereits im Kindesalter zu ersten Krankheitsepisoden kommen. Trotz frühzeitig auftretender Symptomatik, vergehen häufig sehr viele Jahre bis zum Zeitpunkt der korrekten Diagnosestellung und dem Beginn einer adäquaten Behandlung. Zwischen den einzeln auftretenden Episoden können Zeiträume von einigen Monaten oder sogar Jahren liegen, in denen die Stimmungslage der Betroffenen stabil ist und keine Beschwerden auftreten.

Über die Krankheitsepisoden einer bipolaren Störung

Manie: Zu den Erkennungsmerkmalen einer Manie zählen ein intensives Hochgefühl und ein gesteigerter Antrieb, die mindestens für eine Woche anhalten. Betroffene haben ein reduziertes Schlafbedürfnis und nehmen sich selbst als besonders kreativ, leistungsfähig und belastbar wahr. Es kommt häufig zu einem Zustand der Euphorie, bei dem die Wahrnehmung der Betroffenen so stark gestört ist, dass sie nicht mehr dazu in der Lage sind, die Realität adäquat einzuschätzen. Das für die Manie charakteristische Hochgefühl kann schnell in Gereiztheit umschlagen. Die Stimmung zeichnet sich zudem durch einen übersteigerten Mitteilungsdrang, sprunghaftes Handeln und eine gewisse Distanzlosigkeit beim Umgang mit anderen Menschen aus. Nicht selten kann die manische Symptomatik mit psychotischen Phänomenen (insbesondere einem Größenwahn) vergesellschaftet sein.

Hypomanie: Als Hypomanie ist eine abgeschwächte Form der Manie zu bezeichnen. Die Betroffenen sind noch dazu fähig, ihre eigene persönliche Situation zu erfassen. Auch hier zeichnet sich die Gemütslage durch eine gesteigerte Lebensfreude und Kreativität aus. Auch wenn die Hypomanie im direkten Vergleich zu dem Zustand der Manie zunächst harmloser klingt, birgt auch diese Gefahren für Erkrankte: Einerseits durch die fehlende Gewissheit über die Dauer einer Episode, denn es ist nicht eindeutig festzustellen, ob es sich nur um eine kurze Stimmungsschwankung handelt oder die hypomanische Phase in eine Manie wechselt. Andererseits kann sich der gesamte Verlauf einer bipolaren Störung mit jeder neuen Episode verschlechtern.

Depression: Eine Depression beeinflusst nicht nur die Psyche, sondern auch das eigene Handeln und den gesamten Körper. Tritt eine Depression als Krankheitsepisode einer bipolaren Störung auf, äußert sich diese durch niedergeschlagene Stimmung, Antriebslosigkeit und Interessensverlust, Konzentrationsschwierigkeiten und ein vermindertes Selbstwertgefühl. Bipolare Depressionen unterscheiden sich nicht wesentlich von sogenannten unipolaren Depressionen, was unter anderem auch ein Grund der verzögerten Diagnosestellung ist. Vergleichbar mit Manien, können auch Depressionen mit psychotischer Symptomatik einhergehen.

Diagnose durch ärztliche Befragung

Eine bipolare Störung ist nicht immer zweifelsfrei zu diagnostizieren. Prof. Neuner erklärt: „Da bislang keine Möglichkeiten vorliegen, die Erkrankung im Rahmen einer Laboruntersuchung festzustellen, basiert die Diagnose auf einer ärztlichen Untersuchung des Betroffenen, nicht selten gemeinsam mit ergänzender Exploration der Angehörigen. Der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin versucht im Gespräch anhand der bestehenden Probleme des Erkrankten und der genauen Befragung zu den Lebensumständen, klassische Symptome einer bipolaren Störung auszumachen.“ Da die Probleme und Krankheitssymptome stark variieren können, kann eine endgültige Diagnose zumeist erst nach mehreren Arztbesuchen gestellt werden.

Möglichkeiten der Therapie

Eine bipolare Störung erfordert eine lebenslange Behandlung, weiß Prof. Neuner. „Auch wenn die Intensität abhängig von der betroffenen Person unterschiedlich sein kann, ist eine dauerhafte Stabilisierung der Gefühlslage ohne Therapie kaum möglich. Kann eine Therapie zeitnah eingeleitet werden, können weitere aus der Erkrankung resultierende soziale und psychische Probleme vermieden werden.“ Bipolare Störungen sind ferner sehr häufig mit weiteren psychiatrischen und/oder somatischen Erkrankungen vergesellschaftet. Insbesondere häufig finden sich hier Missbrauch von Medikamenten, Alkohol, Drogen sowie Angststörungen. Ein besonders dramatisches Problem ist die hohe Suizidrate, die bei Patienten mit bipolaren Störungen die höchste unter allen psychischen Erkrankungen ist.

Je nachdem in welcher Phase der Erkrankung sich die betroffene Person befindet, verfolgt die Therapie verschiedene Ziele. Sobald eine Krankheitsphase auftritt, beginnt die Akut-Therapie, mit dem Ziel, die akuten Symptome zu verbessern. Dabei können Medikamente oder eine nicht-medikamentöse Behandlung angewendet werden. Die Erhaltungs-Therapie knüpft an die Akut-Therapie an und versucht die Stimmungslage des Betroffenen in solchem Maße zu stabilisieren, dass es nicht zu Rückfällen kommt. In einem Zusammenspiel aus Psychotherapie und Medikamenten gilt es, einen stabilen Zustand so lange wie möglich zu erhalten sowie die Dauer und die Intensität der akuten Phasen zu reduzieren.

Im Allgemeinen kommen bei der Behandlung bipolarer Störungen verschiedene Medikamentengruppen zum Einsatz. Zur Vorbeugung von Rückfällen werden Stimmungsstabilisierer (z.B. Lithium oder Valproinsäure) verordnet. Diese Substanzen haben auch einen antimanischen Effekt, so dass sie ebenfalls bei akuter manischer Symptomatik, häufig in Kombination mit antipsychotisch wirksamen Medikamenten eingesetzt werden. Antipsychotika kommen auch zum Einsatz bei der Behandlung psychotischer Symptome bei schweren Depressionen. Die Verordnung von Antidepressiva ist bei bipolaren Störungen umstritten und hierbei dürfen nur ganz bestimmte Medikamente verordnet werden. In den akuten Krankheitsphasen werden zudem häufig auch Hypnotika und Sedativa eingesetzt. Eine gezielte Psychotherapie im Rahmen der Behandlung bipolarer Störungen dient dazu, den Betroffenen eine Hilfeleistung zu geben, langfristig mit der Erkrankung und bestimmten Auslösern von Krankheitsepisoden umzugehen. Bei der Behandlung schwerer manischer und depressiver Episoden hat sich der Therapieansatz der Elektrokrampftherapie (EKT) bewährt. Die Behandlung erfolgt unter dem Einsatz einer Kurzzeit-Vollnarkose, bei der mithilfe von zwei Elektronen ein kurzer Krampfanfall erzeugt wird, der für eine Stimulation des Nervensystems sorgt. Dies führt zu einer Freisetzung verschiedener Neurotransmitter, die positiv auf die Stabilisierung der Stimmungslage einwirken.

Mögliche Frühwarnzeichen einer Krankheitsepisode

  • unerklärliche Traurigkeit und Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit
  • Appetitlosigkeit
  • Schlaflosigkeit oder Schlafstörungen
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Angstzustände
  • schnelle Reizbarkeit
  • Rededrang, Gedankenflut und Gedankensprünge
  • Wahnvorstellungen
  • Suizidgedanken

Regionale Ansprechpartner

Uniklinik RWTH Aachen

Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik

Tel.: 49 241 80-0

psychiatrie@ukaachen.de

Überregionale Ansprechpartner

Telefonberatung der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V. (DGBS)

Tel.: 0800 55 33 33 55 (kostenlos)

Mailberatung der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V. (DGBS)

mailberatung@dgbs.de

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