Bettnässen bei Kindern: kein Grund zum Schämen

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Viele Kinder im Einschulungsalter machen nachts noch ins Bett. Trotzdem ist es nach wie vor ein Tabuthema. Zu groß ist oftmals das Schamgefühl – sowohl seitens der Kinder als auch der Eltern. Im Gespräch mit apropos erläutert Prof. Dr. med. Dorothea Rohrmann, Leiterin der Sektion Kinderurologie an der Uniklinik RWTH Aachen, welche Ursachen dahinterstecken können, wie Eltern reagieren sollten und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt.

Jonas geht in die erste Klasse. Er kann bereits lesen, rechnen und schreiben. Eine Windel braucht er tagsüber schon lange nicht mehr. Doch in der Nacht fühlt er sich manchmal noch wie ein Kleinkind. Denn in einigen Nächten macht der Sechsjährige ins Bett. Allein ist er mit diesem Problem nicht: Rund 15 Prozent aller Kinder in Jonas Alter nässen sich gelegentlich im Schlaf ein. Prof. Rohrmann, die seit vielen Jahren Mädchen und Jungen mit Kontinenzproblemen hilft, kann Eltern jedoch beruhigen: „In der Regel sind die Ursachen für nächtliches Einnässen harmlos. Nur selten steckt ein ernst­haftes organisches Problem dahinter.“ Zudem gibt es viele Möglichkeiten, dem Kind zu trockenen Nächten zu verhelfen.

Bettnässen: verschiedene Formen

Bettnässen, in der Fachsprache auch Enuresis genannt, beschreibt ein unfreiwilliges, regelmäßiges Einnässen und ist bei Kindern und Jugendlichen das häufigste urologische Symptom. Benötigen drei- bis vierjährige Kinder nachts noch Windeln, ist das völlig normal. Ab fünf Jahren spricht man bei ansonsten gesunden Kindern von Bettnässen. Hierbei unterscheidet man zwischen nächtlichem Bettnässen (Enuresis nocturna) und dem Einnässen am Tag (Enuresis diurna). Erstere ist die am weitesten verbreitete Form: Etwa ein Drittel aller Fünfjährigen nässen regelmäßig im Schlaf ein. Jungen sind doppelt so häufig davon betroffen wie Mädchen.

Eine Frage der Entwicklung

Wenn wir nachts auf die Toilette müssen, werden wir wach. Kleine Kinder, die tagsüber schon trocken sind, verschlafen in der Nacht den Augenblick, wenn die Blase drückt und entleert werden muss. „Die häufigste Ursache hierfür ist eine Entwicklungsverzögerung der Harnblase oder ein noch nicht korrekt funktionierendes Zusammenspiel zwischen Blase und Gehirn“, so die Kinderurologin. Nervenbahnen leiten Signale von der Blase ins Gehirn, die dafür sorgen, dass wir aufwachen, wenn die Blase voll ist. Bei betroffenen Kindern ist dieser Mechanismus beziehungsweise die Kontrollverbindung oftmals noch nicht richtig ausgereift, wodurch sie den Harndrang verschlafen und sich die Blase irgendwann von selbst im Bett entleert. Oftmals ist auch einfach die Blase noch zu klein und deshalb schnell übervoll. Darüber hinaus kann ein Mangel eines Hormons, das nachts die Produktion von Urin eindämmt, verantwortlich für die Enuresis sein.

„Die Blasenkontrolle ist ein Reife- und Lernprozess, der Zeit in Anspruch nimmt und bei jedem Kind unterschiedlich lange dauert. Aus diesem Grund ist es wichtig, keine Vergleiche mit anderen Kindern anzustellen und das Thema Trockenwerden mit Geduld anzugehen“, rät Prof. Rohrmann. Denn meist regelt es sich von selbst und die Kinder wachsen irgendwann von allein aus dem Bettnässen heraus.

Veranlagung spielt eine Rolle

Viele Eltern fragen sich: Hat mein Kind es von mir? Tatsächlich ist Bettnässen vererbbar. Wenn ein oder gar beide Elternteile von Enuresis nocturna betroffen waren, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Kind ebenfalls zum Bettnässer wird. So ist es auch bei Jonas: Seine Mutter war erst mit sieben Jahren trocken. „Diese Erkenntnis ist wichtig, denn so erfahren Eltern, dass weder das Kind noch sie etwas dafür können“, so die Medizinerin.

Belastend für die ganze Familie

Trockenwerden ist ein Thema, das den Alltag vieler Familien mit Kleinkindern bestimmt. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass Kinder bis zum sechsten Lebensjahr vollständig trocken sind und auch während der Nacht die Kontrolle über die Blase behalten. „Doch mit zunehmendem Alter und der Einschulung wird der soziale Druck immer größer“, beobachtet die Expertin. Meist ist das Bettnässen jedoch mit mangelndem Selbstwertgefühl und dem Gefühl des Versagens verbunden. Die betroffenen Kinder reden nicht gerne darüber, schämen sich und haben Schuldgefühle. Hinzu kommt die Sorge der Eltern. „Das größte Problem mit dem Bettnässen ist, dass es in der Öffentlichkeit immer noch stigmatisiert ist“, so Prof. Rohrmann. Aus Erfahrung weiß sie, dass Eltern über das Thema schweigen, weil sich die Annahme hartnäckig hält, Bettnässen sei schlichtweg ein Erziehungsfehler und wäre auf psychische Probleme zurückzuführen. „Dieses soziale Stigma kann emotionale und psychische Folgen haben, die durch Aufklärung, Beratung und rechtzeitige Behandlung vermieden werden können.“

Wann zum Arzt?

Wenn das Kind ab einem Alter von fünf Jahren mindestens einmal im Monat über einen Zeitraum von drei Monaten hinweg nächtlich oder während des Mittagsschlafs einnässt, spricht man von einer behandlungsbedürftigen Störung und eine ärztliche Abklärung ist ratsam.

In der Medizin unterscheidet man die primäre und sekundäre Enuresis. War das Kind seit seiner Geburt noch nie über einen längeren Zeitraum – mindestens sechs Monate – trocken, spricht man von primärer Enuresis, die den Großteil der bettnässenden Jungen und Mädchen betrifft. Hintergrund ist hier meist eine Reifungs- und Entwicklungsverzögerung – wie in Jonas Fall.
Es kommt aber auch vor, dass ein Kind bereits für mehr als sechs Monate trocken war und gelernt hatte, seine Blase über einen längeren Zeitraum zu kontrollieren, bevor es plötzlich von Neuem anfängt, ins Bett zu machen. Dann liegt eine sekundäre Enuresis vor, die öfter durch ein zugrundeliegendes medizinisches oder emotionales Problem verursacht wird. Gründe hierfür können psychischer Natur sein, beispielsweise belastende Lebensereignisse wie Einschulung, Geburt von Geschwistern, Trennung der Eltern, Umzug oder Streit. „Natürlich wirken sich schwierige Lebensphasen auf die Kindesentwicklung aus. War das Kind gerade dabei, trocken zu werden, kann es durch familiäre Lebensveränderungen einen Rückschritt geben“, erklärt Prof. Rohrmann. „Das ist nichts Ungewöhnliches und geht auch wieder vorbei.“ Allerdings können auch körperliche Beschwerden wie eine Infektion oder Fehlbildung der Harnwege, Diabetes, Schlafapnoe oder neurologische Störungen Auslöser sein. „Zwar sind organische Ursachen beim Bettnässen eher selten, sollten aber in jedem Fall ärztlich abgeklärt werden“, so die Kindermedizinerin.  

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Die geeignete Art der Therapie für die Behandlung der Enuresis hängt unter anderem davon ab, ob die Kontrolle über die Blase beim Kind nur nachts oder auch tagsüber aussetzt. Nässt ein älteres Kind regelmäßig ein, sollte der erste Weg stets zum Kinderarzt führen. Symptome, die am Tag auftreten, müssen grundsätzlich zuerst behandelt werden. Denn die Behandlung des Bettnässens kann nur dann erfolgreich sein, wenn eine normale Blasenkontrolle über Tag gegeben ist. „Zunächst finden konservative, nicht medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten Anwendung. Oftmals hilft hier schon ein offenes Gespräch, in dem Kinder und Jugendliche ihre Schuldgefühle überwinden und so ihre psychische Situation verbessern“, sagt Prof. Rohrmann.

Sonnenkalender und Klingelhose

Neben einer Beratung, wie man das Trinken und Wasserlassen langfristig optimiert durchführt, rät die Expertin zur Dokumentation der trockenen beziehungsweise nassen Nächte mithilfe eines Klebe- oder Malkalenders: „Für jede trockene Nacht malt das Kind eine Sonne in den Kalender, für jede nasse Nacht eine Wolke. Auf diese Weise sieht das Kind deutlich seinen Erfolg, was enorm motivierend wirkt. Mit dieser Methode wird rund jedes sechste Kind trocken.“

Bleiben Veränderungen im Alltag oder das Führen von Kalendern erfolglos, kann ein elektronisches Wecksystem weiterhelfen: eine Schlafhose oder Schlafmatte mit Feuchtigkeitsfühler. „Die sogenannten Klingelhosen oder -matten geben ein akustisches Signal ab, sobald ein Tropfen die eingebauten Sensoren berührt. Durch den Weckton soll das Kind aus seinem Schlaf erwachen und es im Idealfall noch rechtzeitig auf die Toilette schaffen“, erläutert Prof. Rohrmann das Prinzip dieser Alarmtherapie. Besonders in der Anfangsphase werden meist alle Familienmitglieder wachgeklingelt, aber nicht das betroffene Kind. Wichtig ist hierbei, dass die Eltern das Kind sehr konsequent jedes Mal wecken, bis nach einigen Wochen der Lerneffekt eintritt und das Kind von allein erwacht, den Alarm ausstellt und auf die Toilette geht. Langfristig soll es durch den Harndrang selbst geweckt werden. In vielen Fällen führt dieses Verhaltenstraining zu einem dauerhaften Erfolg.

Medikamente: effektiv aber keine Dauerlösung

Eine weitere in Einzelfällen sinnvolle Therapieoption ist die medikamentöse Behandlung. Per Tablette oder Nasenspray erhält das Kind einen Wirkstoff (Desmopressin), der dem körpereigenen Hormon Vasopressin ähnelt und die Harnbildung in der Nacht reduziert. „Zwar tritt der Erfolg bei dieser Methode sehr schnell ein, allerdings kommt es nach Absetzen des Medikaments häufiger zu Rückfällen. Und wie bei allen Medikamenten sind auch hier Nebenwirkungen möglich“, so die Kinderurologin. Besonders gut geeignet ist die Medikamentenverabreichung, wenn eine vorübergehende Trockenheit erwünscht ist, beispielsweise bei Klassenausflügen oder Übernachtungen bei Freunden. Zwischendurch müssen Pausen eingelegt werden, um zu prüfen, ob das Kind auch ohne Medikamente trocken bleibt. Eine längerfristige Gabe kommt bei Kindern infrage, bei denen die Wecksysteme nicht funktionieren, weil sie einen sehr tiefen Schlaf haben. Die Hormonbehandlung wird oft begleitend in Kombination mit einer anderen Therapie angewandt. „Welche Therapie im Einzelfall letztendlich geeignet ist, muss individuell entschieden werden“, so Prof. Rohrmann. Eine weitere medikamentöse Therapieform besteht in der Gabe von Medikamenten, die den zu frühen Harndrang unterdrücken helfen. Um hier zu einem Erfolg zu kommen, muss die Blase aber unbedingt beübt werden. Ohne diese Aufhalteübungen sind solche Medikamente sinnlos.

Wichtig: einfühlsame und geduldige Eltern

Zwar bereitet das Einnässen körperlich keine Schmerzen, doch je älter die Kinder werden, desto peinlicher und belastender ist es für sie, aber auch für die Eltern. Wie verhält man sich also als Eltern richtig, wenn das Kind ein Problem mit Bettnässen hat? „Wichtig ist, zu begreifen, dass kein Kind aus Faulheit oder Trotz absichtlich in der Nacht ins Bett macht“, betont die Kinderurologin. Man sollte es als Entwicklungsphänomen, als eine Verzögerung der Reifung und Entwicklung verstehen, die nichts mit Intelligenz oder Verstand zu tun hat. Was daher garantiert nicht hilft: Schimpfen, Schuldzuweisungen, Bestrafungen oder Ermahnungen. „Die betroffenen Kinder brauchen Verständnis und Zuwendung. Die meisten leiden schon genug darunter und schämen sich sehr. Dieser Stress führt dazu, dass es noch öfters einnässt und daraus ein Teufelskreis entsteht“, mahnt die Ärztin. Vielen Familien hilft es bereits, zu wissen, dass Bettnässen nichts Ungewöhnliches ist, viele davon betroffen sind, und sich das Problem mit großer Wahrscheinlichkeit von selbst erledigen wird. Geduld und Empathie sind hier der Schlüssel zum Erfolg.


Tipps und Hilfsmittel zum Trockenwerden

• Selbstwertgefühl des betroffenen Kindes stärken und es unterstützen – niemals schimpfen oder bestrafen!

• Die Trinkmenge am Abend reduzieren – falls möglich! Jedoch sollte man darauf achten, dass das Kind tagsüber ausreichend Flüssigkeit zu sich nimmt. Wenn das Kind abends Durst hat, sollte es selbstverständlich auch etwas trinken dürfen.

• Vor dem Schlafengehen zum Toilettengang ermuntern – ganz ohne Druck oder Zwang!

• Urotherapie: Beschäftigen Sie sich gemeinsam mit Ihrem Kind bewusst mit diesem Thema. Klebe- und Malkalender können sich motivierend auf das Kind auswirken.

• Verhaltenstraining/Alarmtherapie: Bett- oder körpergebundene Weckapparate (beispielsweise Klingelhose oder Klingelmatte) können helfen.


Wie Sie sich auf nächtliche Unfälle vorbereiten können:

• Schützen Sie die Matratze des Kindes durch Gummimatten oder Überzüge.

• Legen Sie frische Bettwäsche zum Wechseln griffbereit; dann können sich alle wieder möglichst schnell schlafen legen.

• Manche Kinder tragen Windeln oder Windelhöschen.

• Uringeruch vermeiden: Duschen Sie das Kind morgens ab und kleiden Sie es frisch ein. So verhindern Sie, dass das Kind im Freundes- oder Bekanntenkreis oder in der Schule ablehnende Reaktionen erfährt.
Gegen den Uringeruch in der Kleidung und im Bettzeug geben Sie einfach beispielsweise Soda (Natron) oder Eukalyptusöl mit in die Waschmaschine.

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