In der Welt des Fußballs sind solch offene Momente eher spärlich gesät: Per Mertesacker hat kurz vor dem Ende seiner Karriere einen solchen Einblick in sein Innenleben gewährt. Im Spiegel sprach der ehemalige Kapitän des FC Arsenal, der im Herbst ins Management der Londoner wechselt, kürzlich über die psychischen Belastungen, die der Beruf als Fußballprofi mit sich bringt, den Druck und die Auswirkungen auf den Körper. Über seine gesamte Laufbahn hinweg habe sich der Weltmeister von 2014 unwohl in der Knochenmühle des Profigeschäfts gefühlt und, ungeachtet der Erfolge und des vielen Geldes, nur selten echte Glücksmomente verspürt.
Mit so viel Offenheit und Selbstkritik konnten längst nicht alle Experten und Ex-Kollegen umgehen. Allen voran Rekordnationalspieler Lothar Matthäus. „Nationalmannschaft spielt man ja freiwillig. Er hätte ja aufhören können, wenn der Druck so groß war“, so konterte der 56-Jährige flugs. Wer jetzt einen Blick in die Autobiographie Mertesackers wirft, stellt schnell fest, dass der heute 33-Jährige mit seinen damaligen Aussagen nicht unbedacht dahergeredet, sondern wohlbesonnen formuliert hat. Sowohl das Interview als auch die Autobiographie sind gereiftes Fazit einer nüchternen und ausgewogenen Betrachtung seiner Karriere – und die hat überraschenderweise nicht gerade verheißungsvoll begonnen. „Der Junge packt das nicht. Er ist fußballerisch sowieso nicht begabt genug, und jetzt wächst er auch noch so schnell. Er ist zu groß. Die Hebel funktionieren nicht.“ Sein damaliger Trainer meinte zu ihm: „Per, das wird nichts. Dir fehlen die körperlichen Voraussetzungen. Das Tempo ist nicht da.“ Leistungsdruck und die Gefahr des Scheiterns begleiten die ersten Schritte auf dem Bolzplatz und weichen auch in den späteren Vereinen von Hannover über Bremen bis zum FC Arsenal nicht von seiner Seite.
Dass Mertesacker es trotzdem ganz nach oben geschafft hat, verdankt er nicht seiner Körpergröße von einem Meter achtundneunzig. Er ist für seine überaus faire Spielweise bekannt, er hat ein feines Gespür für den Raum und ein exzellentes taktisches Verständnis, er ordnet alles dem Erfolg unter. In seiner Autobiographie blickt der Defensiv-Spezialist auf die Jahre in Licht und Schatten einer einmaligen Karriere zurück. Er erzählt vom deutschen Sommermärchen und dem Titelgewinn in Brasilien, von der Signalwirkung seines legendären Eistonnen-Interviews, von Jogi Löws Taktiktricks und den Motivationskünsten Arsène Wengers. Die Frage, wie viel Talent es wirklich braucht oder ob es auch auf die richtigen Mentoren ankommt, hat ihn, den Weltmeister und englischen Pokal- und Supercupsieger, nicht losgelassen. Ihm selbst wurde in der Jugend oft bescheinigt, zu wenig davon zu besitzen – bis ihn eines Tages Ralf Rangnick zu den Profis von Hannover 96 holte. Der Mann, der den Fernsehreporter nach einem wenig sehenswerten, aber doch gewonnenen WM-Spiel so legendär zusammenfaltete, um dann in die Eistonne zu steigen, bleibt nun auch als der in Erinnerung, der als Erster so deutlich von Ohnmacht und Leistungsdruck im Fußball sprach, von Durchfall und Brechreiz und der verheimlichten Erleichterung in der Niederlage – das verdient Respekt und macht dieses Buch um Längen lesenswerter als so manche Anreihung eitler Erfolgsgeschichten auf dem Buchmarkt ehemaliger Profis.