Fiebersaft, Schmerzmittel oder Antibiotika: In den vergangenen Jahren waren einige Medikamente immer wieder knapp in Deutschland, auch Arzneimittel für Kinder. Woher kommen diese Lieferengpässe – und was können Eltern tun, um sich auf weitere Engpässe vorzubereiten? apropos hat mit dem Chefapotheker der Uniklinik RWTH Aachen, Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Albrecht Eisert, gesprochen.
Herr Dr. Eisert, vor allem in den vergangenen Wintern kam es bei wichtigen Kinderarzneimitteln wie Fiebersenkern, Antibiotika oder Medikamenten gegen Husten immer wieder zu Lieferengpässen. Wie ist die Situation momentan?
Dr. Eisert: Trotz einiger anhaltender Lieferengpässe hat sich die generelle Verfügbarkeit von Medikamenten für Kinder in diesem Winter im Vergleich zu den Vorjahren wieder verbessert. Schwierig war es vor allem bei den Antibiotika Clarithromycin und Penicillin V (Phenoxymethylpenicillin) sowie Medikamenten mit dem Wirkstoff Salbutamol, der bei chronischer Bronchitis aber auch Asthma eingesetzt wird. Mittlerweile hat sich aber auch hier die Lage entspannt. Die großen Probleme, wie bei Fiebersäften vor zwei Jahren, gab es nicht. Da jetzt die warme Jahreszeit beginnt, wird die Häufigkeit vieler Infekte zurückgehen. Daher erwarten wir in den nächsten Monaten keine größeren Engpässe bei Kinderarzneien.
Woher kommt es, dass Arzneimittel seit einiger Zeit knapp sind?
Dr. Eisert: Die Gründe sind vielfältig. Zunächst einmal gab es im Winter 2022/23 eine besonders ausgeprägte Krankheitswelle bei Kindern, vor allem mit grippeähnlichen und Atemwegserkrankungen. Da wurden außergewöhnlich viele Medikamente nachgefragt.
Die Hauptursache für Lieferengpässe ist allerdings die Marktverengung in den vergangenen Jahren. Zahlreiche Wirkstoffe werden nur noch von wenigen Unternehmen im Ausland produziert. Wenn es dort Probleme gibt, die Produktion still steht oder Chargen nicht freigegeben werden, können die Arzneimittelhersteller nicht mehr herstellen. Ein Problem liegt also in der Synthese der Wirkstoffe, ein weiteres in der Produktion des Arzneimittels zum Fertigarzneimittel.
Ein weiterer Grund: Speziell in Deutschland schließen Krankenkassen mit Arzneimittelherstellern sogenannte Rabattverträge ab. Die Krankenkassen schreiben jedes Jahr Fertigarzneimittel aus und vergeben den Zuschlag an die günstigsten Anbieter. In der Praxis heißt das: Hersteller von Arzneimitteln, die den Zuschlag nicht erhalten, müssen oftmals aus wirtschaftlichen Gründen die Produktion einstellen, es bleiben nur wenige Anbieter übrig. Wird das Medikament plötzlich stark nachgefragt, kann ein einzelner Anbieter die Produktion aber nicht entsprechend schnell erhöhen. Das war zum Beispiel bei den Fiebersäften so.
Und: Da die meisten Anbieter im Ausland sitzen, sind wir abhängig von der Einfuhr aus weit entfernten Ländern wie China oder Indien. Wenn dann Probleme bei der Qualität der Medikamente oder in den sensiblen und langen Lieferketten auftreten, entsteht schnell ein Engpass. Zudem können immer auch geopolitische Probleme hinzukommen. Die Konflikte auf der Welt könnten auch Lieferketten beeinflussen, was diese nicht verlässlicher macht.
Da Lieferengpässe mittlerweile ein nationales Problem darstellen, können Firmen ihre Engpässe in eine Datenbank des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eintragen. Krankenhausapotheker beraten das BfArM bei Substitutionsfragen und bei der Suche nach Lösungen.
Betrifft dieses Problem nur die privaten Haushalte oder auch Kliniken? Wie sieht es in der Uniklinik RWTH Aachen aus?
Dr. Eisert: Bis jetzt waren hauptsächlich Privatpersonen von Engpässen betroffen. Als Klinik haben wir natürlich eine besondere Position und verfügen in der Regel über alle Medikamente, die unsere Patientinnen und Patienten benötigen. Tatsächlich müssen aber auch wir fast jeden Arbeitstag ein bis drei Lieferengpässe bearbeiten. Das sind im Moment circa 600 pro Jahr. Zum Glück sind wir in einer großen Einkaufsgemeinschaft „EK-Unico“, in der wir mit zehn weiteren Uni-Apotheken einkaufen, uns austauschen und gegenseitig helfen. Auch gibt es eine sehr schnelle und effektive Zusammenarbeit der Krankenhausapotheker (ADKA), in der Hinweise auf Eigenherstellungen, Therapieveränderungen und Kontakte zu Fachgesellschaften kommuniziert werden, so dass nur wenige Lieferengpässe Versorgungsschwierigkeiten nach sich ziehen. Das wird dann natürlich in sehr enger Abstimmung mit dem behandelndem Arzt oder der behandelnden Ärztin sowie dem Patienten oder der Patientin besprochen.
Kann die Politik dieses Problem lösen? Und wenn ja, wie?
Dr. Eisert: Die Politik hat das Problem erkannt und ist auf dem Weg, die Situation zu verbessern. Es gibt Strategiepapiere und Gesetzesentwürfe. So sollen sich die Europäischen Staaten beispielsweise bei Versorgungsengpässen unterstützen. Auch Rabattvertragsregelungen sollen so angepasst werden, dass die Produktion von Arzneimitteln und Wirkstoffen in Deutschland und Europa wieder lohnend wird und somit die Lieferketten umgestellt und die Abhängigkeiten von Drittstaaten verringert werden. Diese Lösungsansätze funktionieren aber nicht von heute auf morgen.
Was erwarten Sie im kommenden Herbst/Winter – wird es wieder zu Engpässen kommen?
Die Antwort ist hier die gleiche wie oben angesprochen. Wir wissen nicht, was passiert, wir haben unsere Lagerkapazitäten erhöht und haben so mehr Zeit, uns um Lösungsansätze zu kümmern. Dadurch, dass sich allerdings die Sensibilität über dieses Thema stark erhöht hat, erwarte ich eine engere Zusammenarbeit der Firmen mit den Behörden. Wir werden sehen. Natürlich haben Krankenhausapotheken auch oft die Möglichkeit, benötigte Arzneimittel selbst herzustellen.
Wie können Eltern vorsorgen und welche Medikamente sollte man für seine Kinder immer zuhause haben?
Dr. Eisert: Wenn Kinder regelmäßig auf Medikamente angewiesen sind, sollten die Eltern nicht warten, bis die Packung leer ist, sondern sich möglichst frühzeitig um die Folgepackung kümmern. So haben der Arzt und die Apotheke im Fall eines Engpasses mehr Zeit, sich um eine passende Alternative zu bemühen – zum Beispiel um ein wirkstoffgleiches Arzneimittel, das sogenannte Generikum. Ist auch dieses Medikament nicht lieferbar, kann die Apotheke den behandelnden Arzt bezüglich eines Rezeptes für einen anderen Wirkstoff kontaktieren. Die individuelle Beratung und Information des Patienten hat hierbei immer oberste Priorität.
In eine gute Hausapotheke für Kinder gehören auf jeden Fall Schmerz- und Fiebermedikamente in der richtigen Dosierung. Auch ein abschwellendes Nasenspray und ein Hustensaft gehören hier hinein. Zudem kann ein Präparat für den Elektrolythaushalt nach Erbrechen und Durchfall sinnvoll sein, genauso wie entschäumende Tropfen oder ein Anis-Fenchel-Kümmel-Tee gegen Blähungen und Bauchschmerzen. Ebenfalls wichtig sind Verbandsmaterial, Pflaster und eine Pinzette.
Wegen eventueller Engpässe Antibiotika zu horten, ist allerdings kontraproduktiv – und mitunter gefährlich. Diese Arzneien werden sehr krankheitsspezifisch verschrieben und fehlen zudem auf dem Markt, wenn sich Familien prophylaktisch damit eindecken.