Jährlich erkranken in Deutschland rund 70.000 Frauen an Brustkrebs. Von diesen Frauen werden circa 70 bis 80 Prozent brusterhaltend operiert und therapiert. Doch bei circa 30 Prozent der Mammakarzinom-Patientinnen ist eine vollständige Entfernung der Brustdrüse unvermeidbar. Dieses Schicksal teilt auch Laura H.* Mit nur 42 Jahren musste sie sich nicht nur der Diagnose „erblicher Brustkrebs“ stellen, sondern sich auch einer prophylaktischen, beidseitigen Mastektomie unterziehen. Dank modernster Rekonstruktionsverfahren mit körpereigenem Gewebe kann das Expertenteam um Univ.-Prof. Dr. med. Justus P. Beier, Direktor der Klinik für Plastische Chirurgie, Hand- und Verbrennungschirurgie an der Uniklinik RWTH Aachen, Frauen in dieser Situation wieder zu einer natürlichen Brustform und damit zu einer neuen Lebensqualität verhelfen.
„Nun ist es also sicher, ich trage das Brustkrebsgen in mir.“ Während ihr der Boden unter den Füßen buchstäblich entgleitet, dringen leise noch die schweren Worte „Genmutation BRCA1“ des Humangenetikers zu ihr durch; dann geht nur noch eines durch Lauras Kopf: Brüste ab, Eierstöcke und Gebärmutter raus – und das so schnell wie möglich. Und genauso schnell, wie diese Entscheidung fiel, um der erhöhten Krebsgefahr zu entgehen, fiel auch ihre Entscheidung für eine Brustrekonstruktion. „Mit der Amputation meiner beiden Brüste hatte ich Sorge, meine Weiblichkeit und damit auch an Selbstwertgefühl zu verlieren. Daher war für mich sofort klar, sie wiederaufbauen zu lassen“, so die junge Dürenerin.
Körperliche Gesundheit und seelisches Wohlbefinden in Einklang bringen
Besonders in der Krebstherapie hat eine starke Psyche positiven Einfluss auf die Entwicklung des Krankheitsverlaufs. „Damit nimmt die rekonstruktive Chirurgie einen hohen Stellenwert ein, mittels der wir unseren Patientinnen ein positives Gefühl für ihren Körper zurückgeben können“, sagt Prof. Beier, der als Direktor der Klinik für Plastische Chirurgie, Hand- und Verbrennungschirurgie an der Uniklinik RWTH Aachen über reichlich Erfahrung auf dem Gebiet der chirurgischen Brustrekonstruktion verfügt. Für die meisten Frauen ist das essentiell, um mit ihrer Krebserkrankung vollständig abschließen zu können.
Implantate oder Eigengewebe – eine individuelle Entscheidung
Es ist ein sensibles Thema, das einen besonderen Spezialisten erfordert. Damit der Eingriff auch gelingt, ist ein ausführliches Gespräch über die Möglichkeiten, Details, aber auch Nebenwirkungen einer solchen Operation Voraussetzung. „Jede Frau muss sich darüber im Klaren sein, dass die neu aufgebaute Brust niemals der ursprünglichen entsprechen kann. Doch dank moderner Behandlungsmethoden können wir dem Wunsch nach einem vollen, natürlichen Busen heutzutage sehr nahekommen“, macht der Chirurg deutlich.
Hierfür stehen verschiedene Verfahren und Techniken zur Wahl. Grundsätzlich können sich Betroffene zwischen einer Rekonstruktion mit Silikonimplantaten oder einem Wiederaufbau und Modellierung mit Eigengewebe entscheiden. Doch nicht jedes Verfahren eignet sich für jede Patientin. „Welche Methode letztlich individuell am besten passt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Der behandelnde Arzt sollte diese ausführlich mit seiner Patientin besprechen“, betont Prof. Beier. Dabei spielen neben medizinische Gegebenheiten wie der allgemeine Gesundheitszustand und die Krankengeschichte der Patientin, auch die Gewebs- und Narbenverhältnisse der Körperregion eine maßgebliche Rolle. Ebenso wie die weitere Behandlungsplanung. „Ist beispielsweise nach einer Krebserkrankung eine ergänzende Bestrahlung vorgesehen oder war bereits in der Vergangenheit bereits eine erfolgt, so ist der Einsatz von Implantaten problematisch“, erklärt der Experte.
Zwar hatte sich Laura H. vorsorglich für die Mastektomie entschieden, weitere onkologische Therapiemaßnahmen waren nicht notwendig, doch auch für sie stellten Brustimplantate keine Option dar. „Aufgrund meiner Vorgeschichte und einer vorangegangenen Brustkrebserkrankung im Jahr 2009, die ich mit Chemotherapie und Strahlenbehandlung bekämpft hatte, kam für mich nur ein Brustwiederaufbau mit Eigengewebe infrage“, erinnert sich Laura H. Neben medizinischen Aspekten gilt es aber auch, die persönlichen Wünsche und Bedürfnisse der Patientin zu berücksichtigen. Während es manche Frauen abschreckt, Fremdkörper in Form von Silikonimplantaten im Körper zu haben, fürchten andere Frauen wiederum beim Wiederaufbau mit Eigengewebe zusätzliche Narben an der Entnahmestelle davonzutragen.
Grundsätzlich empfiehlt es sich, für die Beratung und Durchführung einer Brustrekonstruktion eine Klinik aufzusuchen, die auf die Behandlung von Mammakarzinomen spezialisiert ist. „In der Uniklinik RWTH Aachen arbeiten Krebsspezialisten und Gynäkologen Hand in Hand mit plastischen Chirurgen, die die Expertise und das Spezialwissen sowie die notwendige Erfahrung für diese Art von Operationen besitzen, die nicht selten stundenlange mikrochirurgische Feinarbeit verlangen. Zudem bieten wir alle gängigen Methoden zum Brustwiederaufbau an, sodass die Patientinnen hier die maximalen Auswahlmöglichkeiten erhalten“, erläutert der Klinikdirektor.
Was ist eine Mastektomie?
Eine Mastektomie beschreibt den chirurgischen Eingriff, bei dem das Brustdrüsengewebe einer Frau oder eines Mannes vollständig entfernt wird. Dies kann sowohl einseitig als auch beidseitig erfolgen und ist in den meisten Fällen aufgrund einer Brustkrebserkrankung notwendig. Eine Mastektomie kann aber auch schon vorher präventiv durchgeführt werden. Denn etwa fünf Prozent aller Karzinome der Brust werden durch eine familiäre Anlage begünstigt. Bestimmte Genmutationen erhöhen das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken. Die genauen Ursachen einer Brustkrebserkrankung sind noch weitestgehend unbekannt. Welche aber bereits bekannt sind, sind die Mutationen im BRCA1- oder BRCA2-Gen, die ein um bis zu 80 Prozent erhöhtes Brustkrebsrisiko verursachen.
Der richtige Zeitpunkt
Ähnliche Kriterien wie bei der Wahl der geeigneten Operationsmethode erwägt der Arzt, um den optimalen Zeitpunkt für den Eingriff zu finden.
Um die körperliche und emotionale Belastung möglichst gering zu halten und um ein bestmögliches ästhetisches Operationsergebnis zu erzielen, wurden bei Laura H. Brustamputation und Brustwiederaufbau in der gleichen Sitzung vorgenommen. In diesem Fall spricht man von einer sogenannten primären Rekonstruktion. Bei einer sekundären Rekonstruktion wird in einem ersten Eingriff durch die Gynäkologie zunächst nur die Krebsoperation, also die Entfernung der Brustdrüsen, durchgeführt, gegebenenfalls mit Implantation einer Platzhalter-Prothese oder eines Gewebeexpanders und der Neuaufbau der Brust durch den Plastischen Chirurgen erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt.
Nicht jede Frau hat die Möglichkeit, sich zu einer sofortigen Rekonstruktion zu entscheiden. „Patientinnen, die ergänzende Therapiemaßnahmen erhalten, raten wir meist zu einem verzögerten Wiederaufbau. Chemotherapie und Bestrahlung beeinträchtigen unter anderem die Durchblutung im Operationsgebiet und dadurch die Wundheilung. Bei Brustrekonstruktionen mit Silikongel-Implantaten erhöht eine Strahlentherapie wiederum das Risiko einer Kapselfibrose“, erklärt Prof. Beier. Daher muss vor der Durchführung einer rekonstruktiven Brustoperation die Tumorbehandlung abgeschlossen sein.
Neue Brust mit Gewebe des Bauches
Nur wenige Monate nach ihrer Schockdiagnose wird Laura H. im November 2020 mittels der sogenannten „nipple sparing Mastectomy“ und Eigengewebsaufbau der Brust in der Uniklinik RWTH Aachen gemeinsam von den Gynäkologen und den Plastischen Chirurgen operiert. Dabei werden durch die Gynäkologen die Brustdrüsen unter Erhalt des Hautmantels und der Brustwarzen entfernt. Für den Brustwiederaufbau wählte Prof. Beier die Methode der freien Gewebetransplantation aus dem Unterbauch, die unter Experten als das optimale Verfahren der Brustrekonstruktion mit körpereigenem Gewebe gilt. „Haut und Fettgewebe vom Bauch ähneln dem Brustgewebe am ehesten. Dadurch erzielen wir das natürlichste Ergebnis“, sagt Prof. Beier.
Bei der angewandten Technik wird das Bauchfettgewebe frei transplantiert. Das bedeutet die Entnahme eines ellipsenförmiger Blocks aus Haut und Fettgewebe samt versorgendem Gefäßbündel unter Schonung der Bauchwandmuskulatur aus dem Unterbauch. Der Schnitt wird vom Schambein über den Bauchnabel geführt. „Ein bis zwei Millimeter kleine Blutgefäße, die für die Durchblutung des Unterbauchhautfettgewebes verantwortlich sind, präparieren wir mikrochirurgisch und schließen sie an die Empfängergefäße am Brustkorb an“, erklärt Prof. Beier das technisch sehr anspruchsvolle Vorgehen, das eine ruhige Hand und viel Fingerspitzengefühl verlangt. Dadurch dass diese Methode im Gegensatz zu anderen nur wenig Bauchmuskelanteile nutzt, bleibt die Struktur der Bauchwand weitestgehend intakt und die Decke wird gleichzeitig gestrafft. Durch die Flexibilität der Technik ist eine ästhetisch exzellente Brustformung sehr gut möglich, die sowohl kleine als auch große Brüste wiederherstellt.
Nach rund fünfstündiger Operation hat es Laura H. geschafft. „Zu wissen, nach Entfernung der Brustdrüsen mit zwei Brüsten zu erwachen, war für mich psychisch befreiend“, sagt sie. Die Schmerzen sind erträglich. Bereits nach wenigen Tagen kann sie das Krankenhaus verlassen.
Weil jeder Genesungsverlauf und jeder Mensch anders ist, sind weitere Korrektureingriffe keine Seltenheit bis das gewünschte Ergebnis erreicht ist. Auch bei Laura H. werden Folgeoperationen durchgeführt, um die Brustform durch Unterspritzung mit Eigenfett zu optimieren.
Geringe Komplikationen
Basierend auf zahlreichen Studien, auch Langzeitstudien, hat eine Brustrekonstruktion keine nachteiligen Auswirkungen auf die Heilungschancen eines Mammakarzinoms. „Wie bei jedem anderen chirurgischen Eingriff ist die Operation jedoch mit gewissen Risiken verbunden, und es kann beispielsweise zu Blutungen, Wundheilungsstörungen, Durchblutungsstörungen oder im schlimmsten Fall zum Verlust des verpflanzten Gewebes kommen. Allerdings ist die Komplikationsrate beim Wiederaufbau der Brust mit Eigengewebe sehr gering und insbesondere gibt es bei erfolgreich überstandenem Eingriff und nach erfolgter Abheilung keine potentiellen Langzeitfolgen oder Komplikationen im Verlauf“, weiß der Klinikdirektor aus Erfahrung. Hier überwiegt in den meisten Fällen das Bedürfnis nach einem harmonischen Gesamtbild der Brust, das zu einer Steigerung des Selbstvertrauens und auch des Selbstwertgefühls beitragen kann.
„Mein Körper ist von Narben gezeichnet. Dafür stehen meine Chancen gut, alt zu werden“, so die junge Frau. Trotz aller Strapazen ist sich Laura H. einer Sache schon jetzt sicher. „Ich bereue es keinen Moment und bin froh, diesen Schritt gegangen zu sein“, resümiert sie.
*Name von der Redaktion geändert
Voraussetzungen für eine Brustrekonstruktion mit Eigengewebe:
Bei der Entscheidung für oder gegen eine Brustrekonstruktion spielen vor allem medizinische Aspekte eine entscheidende Rolle.
• Gesundheitsrisiken der Patientin sollten in jedem Fall so weit wie möglich minimiert werden.
• Diabetes, Gefäß- oder Herzerkrankungen sollten nicht bestehen.
• Auch Rauchen kann zu Komplikationen führen. Daher wird den Patientinnen dringend dazu geraten, das Rauchen aufzugeben.
Ob und auf welche Weise in einem individuellen Fall die Möglichkeit einer Brustrekonstruktion besteht, besprechen Patientinnen am besten mit dem behandelnden Arzt ihres Vertrauens.