Hirntumoren sind mehr als nur gut- oder bösartig. Manche fallen durch Kopfschmerzen oder Sprachprobleme auf, andere rein zufällig. Für eine erfolgreiche Therapie ist es entscheidend, sie genau zu klassifizieren. Im Gespräch geben Dr. med. Hussam Hamou, Geschäftsführender Oberarzt und Koordinator der Neuroonkologie in der Klinik für Neurochirurgie, und Dr. med. Tobias Schmidt, Oberarzt mit Schwerpunkt Neuroonkologie in der Klinik für Neurochirurgie, beide Uniklinik RWTH Aachen, einen Einblick in die Hirntumorchirurgie.
Herr Dr. Hamou, Herr Dr. Schmidt, was versteht man eigentlich unter Hirntumorchirurgie und warum ist sie so anders als andere operative Eingriffe?
Dr. Hamou: Die Hirntumorchirurgie umfasst Operationen an Tumoren im Gehirn, ob gut- oder bösartig, primär oder metastatisch. Auch gutartige Tumoren können gefährlich werden, da im Schädel nur begrenzt Platz ist. Sie können wichtige Funktionen wie Sprache oder Bewegung beeinträchtigen. Ziel jeder Operation ist es, den Tumor möglichst vollständig zu entfernen und gleichzeitig die Hirnfunktionen und Lebensqualität zu erhalten.
Dr. Schmidt: Besonders ist die Lage des Tumors: Im Gehirn können wir keinen Sicherheitsabstand einhalten, ohne Funktionen zu gefährden. Jede Operation erfordert daher präzises Abwägen und exakte Planung. Da der Schädel ein geschlossener Raum ist, können schon kleine Schwellungen gefährlich werden. Wir arbeiten interdisziplinär und nutzen modernste Technik, um Eingriffe maximal sicher zu gestalten.
Welche diagnostischen Methoden und OP-Vorbereitungen sind in der Klinik für Neurochirurgie an der Uniklinik RWTH Aachen üblich?
Dr. Hamou: Grundlage jeder erfolgreichen Operation ist eine präzise Diagnostik. Wir verwenden hochauflösende MRT-Scans, die Tumorgröße, Lage und angrenzende Hirnareale zeigen. Bei Bedarf setzen wir Kontrastmittel oder funktionelle Bildgebung ein, um aktive Hirnregionen zu erkennen.
Dr. Schmidt: Nach Abschluss der Diagnostik wird jeder Fall in der interdisziplinären Tumorkonferenz besprochen. Anschließend planen wir den Eingriff detailliert – von Technik und Narkosevorbereitung bis zum Neuromonitoring. Bei bestimmten Tumoren nutzen wir einen Fluoreszenzfarbstoff, der das Tumorgewebe sichtbar macht. Auch die Abstimmung mit der Intensivstation erfolgt im Voraus. Ziel ist eine sichere, präzise und schonende Operation.
Welche operativen Verfahren gibt es?
Dr. Schmidt: Wir unterscheiden zwischen offenen und endoskopischen Verfahren. Die Wahl hängt von Lage und Größe des Tumors ab. Tiefliegende Tumoren können wir über kleine, endoskopische Zugänge mit Kamera operieren. Meist ist jedoch ein offenes Vorgehen nötig. Mikroskope, Exoskope und Navigationssysteme – wie ein GPS im Gehirn – ermöglichen höchste Präzision. Ultraschallaspiratoren entfernen Tumorgewebe besonders schonend.
Dr. Hamou: Heute stehen uns hochpräzise Verfahren zur Verfügung, um Tumoren möglichst vollständig und sicher zu entfernen. Eine zentrale Rolle spielt die Überwachung der Hirnfunktion während der Operation. In bestimmten Fällen, etwa nahe der Sprachzentren, operieren wir Patientinnen und Patienten im Wachzustand. Das Gehirn besitzt keine Schmerzrezeptoren, sodass der Eingriff schmerzfrei ist. Während dieser Phase testen wir gezielt wichtige Funktionen, um sie zu erhalten. Ergänzend nutzen wir das intraoperative Neuromonitoring, das die Funktionen des Nervensystems in Echtzeit überwacht und das Risiko neurologischer Ausfälle minimiert. Neben diesen Techniken spielt die Überwachung der Hirnfunktionen eine zentrale Rolle. Bei Tumoren in der Nähe der Sprachzentren operieren wir teils im Wachzustand – völlig schmerzfrei, da das Gehirn keine Schmerzrezeptoren besitzt. Währenddessen testen wir gezielt wichtige Funktionen. Das intraoperative Neuromonitoring überwacht zusätzlich Nervenbahnen in Echtzeit und senkt das Risiko neurologischer Ausfälle.
Welche Rolle spielt die interdisziplinäre Zusammenarbeit?
Dr. Hamou: Die Behandlung von Hirntumoren ist Teamarbeit. In der Tumorkonferenz des Krebszentrums beraten Spezialistinnen und Spezialisten aus verschiedenen Fachbereichen jeden Fall. So entsteht eine individuell abgestimmte Behandlungsstrategie. Im molekularen Tumorboard prüfen wir zusätzlich genetische Veränderungen, um neue, zielgerichtete Therapieansätze zu ermöglichen.
Dr. Schmidt: Die Zusammenarbeit endet nicht mit der Operation. Wir planen frühzeitig Reha-, Logopädie- und Physiotherapie-Maßnahmen. Auf Wunsch werden auch Psychoonkologie und Palliativmedizin eingebunden – für ein ganzheitliches Konzept, das über die Operation hinausreicht.
Hirntumoren bei Kindern
Hirntumoren sind nach Leukämien die häufigsten
Krebserkrankungen bei Kindern. Sie entstehen meist direkt im Gehirn. Operation
und Nachsorge erfolgen interdisziplinär und individuell, um das empfindliche,
sich entwickelnde Gehirn bestmöglich zu schützen.









