Stütz- und Bewegungsapparat nennt sich das Organsystem, dem wir es verdanken, dass wir uns aufrecht und stabil halten können und nicht wie ein nasser Sack in uns zusammensinken. Gleichzeitig ist er für unsere Mobilität verantwortlich. Der Bewegungsapparat sorgt dafür, dass der Körper in einer festgelegten Form bleibt und zeitgleich zielgerichtet bewegt werden kann. Dabei wirken zahlreiche ausgefeilte Mechanismen von Knochen, Muskeln, Sehnen, Bändern und Gelenken zusammen, gesteuert von unserem Gehirn.
Fein abgestimmter Apparat
Oberschenkel-knochen können unglaubliche 1.500 Tonnen tragen.
Die Knochen des menschlichen Skeletts müssen bei unterschiedlichen Bewegungen schwersten Belastungen standhalten können. Ihre Leichtbauweise ist maximal belastungsstabil und gleichzeitig gewichtssparend. Als größter Knochen des menschlichen Körpers können die Oberschenkelknochen unglaubliche 1.500 Tonnen tragen, aber leicht wie Aluminium machen sie nur rund zwölf Prozent des Körpergewichts aus. Neben Druckbelastungen können sie auch Zugkräfte und Biegungen abfangen. Knochen befinden sich dabei das ganze Leben im Umbau. In der Jugend dominiert der Aufbau, mit zunehmendem Alter wird immer mehr Knochenmasse abgebaut.
Verbindungsstücke zwischen den circa 206 Knochen im menschlichen Körper sind die Gelenke. Insgesamt gibt es ungefähr 360 gelenkige Verbindungen, rund 100 davon bezeichnet man als „echt“, da sie extrem mobil sind. Das Kniegelenk als größtes seiner Art gehört beispielsweise dazu. „Unechte“ Gelenke sind weniger mobil. Rippen in etwa können sich bei der Atmung lediglich leicht auf und ab bewegen. Damit jede Bewegung reibungslos ablaufen kann und keine Schmerzen verursacht, gibt es als „Gleitschicht“ den Gelenkknorpel und als „Schmiermittel“ die Gelenkflüssigkeit. Der Knorpel hat auch eine gewisse stoßdämpfende Funktion. Stark beanspruchte Gelenke wie das Kniegelenk verfügen darüber hinaus über feine Verschiebeschichten: die mit Gelenkflüssigkeit gefüllten Schleimbeutel. Das ist wichtig, da bei Bewegungen ein Mehrfaches des eigenen Gewichts auf den Körper einwirken kann – bei einem Sprung ist es in etwa das zwanzigfache! Gelenke entlasten dann Sehnen, Muskeln und Knochen.
Von alleine bewegen sich Gelenke allerdings nicht. Dafür benötigt es Muskelkraft. Die Muskulatur ist nicht nur – wie man vermuten könnte – an Knochen zu finden, sondern arbeitet auch in Organen wie dem Herzen oder der Lunge. Profisportler wie Simon Rolfes (siehe Interview Seite 14) kennen das „Problem“ eines antrainierten größeren Herzens, das nach Karriereende wieder langsam abtrainiert werden muss, damit es nicht zur Gefahr wird. Die an den Knochen sitzenden Muskeln sind durch Sehnen mit ihnen verbunden. Gesteuert werden die Sehnen durch Nervenimpulse. Lediglich zwei Befehle sorgen dabei für Bewegung: Zusammenziehen oder Entspannen. So übertragen sie die Kraft der Muskeln auf die Knochen und das an sich starre Skelett kommt in Schwung. Bänder hingegen sind keine „Kraftüberträger“, sondern helfen dabei, die Gelenke zu stabilisieren. Sie sind nicht Bindeglied zwischen Muskel und Knochen, sondern zwischen Knochen und Knochen. Sie schränken den Spielraum eines Gelenks für eine Bewegung auf ein sinnvolles Maß ein, sind deswegen auch wenig elastisch. Nicht selten hört man beim Sport vom Bänderriss. Das heißt: Durch eine übermäßige Bewegung, zum Beispiel ein Wegknicken, wurden die Bänder beschädigt.
Hätten Sie‘s gewusst?
Der menschliche Körper besitzt mehr als 650 Muskeln – alleine 50 davon befinden sich in unserem Gesicht. An einem Lächeln sind bis zu 17 dieser Muskeln beteiligt.
Ein Fall für den Orthopäden
„So komplex der Stütz- und Bewegungsapparat als größtes Organsystem des menschlichen Körpers ist, von so vielen unterschiedlichen Formveränderungen, Funktionsstörungen, Verletzungen und Erkrankungen kann er betroffen sein“, weiß Univ.-Prof. Dr. med. Markus Tingart, Direktor der Klinik für Orthopädie an der Uniklinik RWTH Aachen. Als Orthopäde beschäftigt sich Prof. Tingart mit der Vorbeugung, Entstehung, Erkennung und Behandlung von Formveränderungen und Erkrankungen des Bewegungsapparates, egal ob sie angeboren oder im Laufe des Lebens erworben wurden. Von Arthrose über eine „verrenkte“ Wirbelsäule oder klassische Rückenschmerzen bis hin zu Gelenkverletzungen sind die orthopädischen Krankheitsbilder sehr abwechslungsreich. Doch nicht nur das: „Ebenso wichtig wie die Diagnose und Therapie von Erkrankungen ist die Erforschung, Verhütung und Rehabilitation“, ergänzt Prof. Tingart. An seiner Klinik gibt es daher nicht nur zahlreiche Sektionen zu spezifischen Krankheitsbildern, auch verschiedene Forschungsgruppen sollen den Grundstein für neue innovative Techniken legen.
Fast jeder einmal betroffen
Wichtig ist die Forschung nicht zuletzt, da heutzutage davon auszugehen ist, dass jeder Mensch im Laufe seines Lebens Bekanntschaft mit einem Orthopäden machen wird. „Wir haben es immer häufiger mit Über- und Fehlbelastungen, auch schon bei jungen Menschen, zu tun. Hinzu kommen Bewegungsmangel, eine unausgewogene Ernährung, Stoffwechselstörungen oder in älteren Jahren ganz einfach Verschleiß, die sogenannte Arthrose“, berichtet Prof. Tingart. Zeitgleich steigt innerhalb der Gesellschaft der Anspruch an Gesundheit und Mobilität – und das bis ins hohe Alter. All das treibt mehr Menschen denn je zu Fachärzten für Orthopädie. Aber vielleicht ist es auch ein Anreiz für alle, die nicht unter angeborenen orthopädischen Erkrankungen leiden, besser auf ihren Stütz- und Bewegungsapparat Acht zu geben und bewusster zu leben.
Kinder und Sport
Bewegung ist wichtig für die gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Aktuell wird dies vor allem zur Vermeidung von Übergewicht diskutiert, vergessen wird dabei nicht selten das Stütz- und Bewegungssystem. Denn der Mensch besteht aus verschiedenen Strukturen, wie Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln und Faszien. Grundlage für die optimale Funktion dieses Systems ist das harmonische Zusammenspiel der beteiligten Strukturen. Die Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention – Deutscher Sportärztebund empfiehlt daher: Kinder und Jugendliche sollten regelmäßig, möglichst täglich, körperlich aktiv sein und Sport treiben, da dies zu einer Verbesserung der Körperkoordination und der Stabilität und Funktionsfähigkeit des Stütz- und Bewegungssystems führt.