Weizen, Roggen, Gerste und Dinkel – all diese Getreidesorten enthalten Gluten, ein natürliches Eiweiß. Bei Menschen, die an einer Zöliakie leiden, löst der Verzehr von Gluten eine Entzündung des Dünndarms aus, was zu einer Vielzahl von Beschwerden führt. apropos erklärt, welche Ursachen hinter der autoimmunen Krankheit stecken, und zeigt Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten auf.
Der längste und wichtigste Abschnitt des Verdauungssystems ist der Dünndarm. Hier wird die Nahrung in ihre Bestandteile zerlegt, die über das Blut in alle Bereiche des Körpers aufgenommen werden. Die sogenannten Darmzotten und Mikrozotten, Ausstülpungen der Schleimhaut, vergrößern die Oberfläche des Dünndarms und schaffen so eine ausreichende Fläche für die Resorption, also die Aufnahme von Nährstoffen, Mineralstoffen und Vitaminen. Bei der Zöliakie ist dieser Prozess gestört, erklärt Johanna Helle, Mitarbeitende Diätassistentin des Ernährungs- und Diabetesteams/Pflegedirektion (PEDT) unter Leitung von Birgit Tollkühn-Prott an der Uniklinik RWTH Aachen: „Die Zöliakie ist eine Erkrankung der oberen Dünndarmschleimhaut, die beim Verzehr von Gluten eine Autoimmunreaktion auslöst. Infolgedessen bilden die Immunzellen fälschlicherweise Antikörper gegen körpereigene Enzyme, was zu einer Schädigung der Dünndarmschleimhaut und einer Abflachung der Darmzotten und Mikrozotten führt. Das erschwert die Aufnahme von Nahrungsbestandteilen und hat langfristig eine Unterversorgung an Nährstoffen zur Folge.“ Unbehandelt verursacht die Mangelernährung weitere Folgeschäden wie Kleinwuchs, Blutarmut, Blutgerinnungsstörungen, Knochenschmerzen sowie Schäden am Zahnschmelz.
Atypische Symptome erschweren die Diagnose
Die Erkrankung tritt relativ häufig auf – der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft (DZG) zufolge liegt die Wahrscheinlichkeit in Deutschland bei 1:110-270, eine Zöliakie zu entwickeln. Die Erkrankung kann in jedem Lebensalter entstehen, bei Kindern und Erwachsenen gleichermaßen. Frauen sind insgesamt häufiger betroffen. Da oft untypische Formen sowie nicht eindeutig zuordbare Symptome auftreten, wird eine Zöliakie meist nicht sofort diagnostiziert. Bei Erwachsenen verläuft die Erkrankung überwiegend atypisch, begleitet von Symptomen wie Eisen- oder Vitaminmangel, Verstopfungen, Durchfall oder Erbrechen, aber auch ein plötzlicher Gewichtsverlust oder Fertilitätsstörungen können auftreten. Häufig geht eine Zöliakie mit unspezifischen Symptomen, wie Müdigkeit, Konzentrationsstörungen oder Muskel- und Gelenkschmerzen einher. Im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung äußern sich Wachstumsverzögerungen, Osteoporose oder Untergewicht. Insbesondere im Kindesalter wird eine Zöliakie oftmals erst erkannt, wenn es zu Verzögerungen in der körperlichen Entwicklung kommt.
Ursachen und mögliche Risikofaktoren
Die genauen Ursachen einer Zöliakie sowie das Zusammenspiel möglicher weiterer Faktoren konnten bislang nicht abschließend geklärt werden. „Ein wichtiger Faktor ist eine genetische Veranlagung, die bei rund 25 bis 30 Prozent der Bevölkerung vorliegt, so die DZG. Die beiden sogenannten Histokompatibilitätsantigene HLA-DQ2 und HLA-DQ8 können dazu führen, dass das Klebereiweiß Gluten im Darm fälschlicherweise als schädigend wahrgenommen werden. Infolgedessen wird, vergleichbar mit einem bakteriellen Infekt, eine Immunreaktion zwischen dem Gluten und dem körpereigenem Enzym Gewebetransglutaminase ausgelöst“, führt Johanna Helle aus.
Da nur knapp zwei Prozent der Menschen mit dieser genetischen Veranlagung tatsächlich erkranken, ist davon auszugehen, dass weitere Einflüsse auf die Entstehung der Zöliakie einwirken. Als mögliche Risikofaktoren lassen sich beispielsweise Darminfektionen oder Veränderungen des Mikrobioms ausmachen. Auch erbliche Faktoren nehmen einen Einfluss auf die Entstehung einer Zöliakie: Für Verwandte ersten Grades eines Zöliakie-Patienten und eineiige Zwillinge besteht ein erhöhtes Risiko, ebenfalls zu erkranken.
Diagnose: ein Überblick
Kommt es nach dem Verzehr glutenhaltiger Speisen und Lebensmitteln zu Beschwerden, ist eine gastroenterologische Untersuchung sinnvoll. Für eine zuverlässige Diagnose ist es wichtig, dass sich Patientinnen und Patienten mindestens vier, besser 12 Wochen vor der Untersuchung glutenhaltig ernähren, da eine vorsorglich glutenfreie Ernährung die Untersuchungsergebnisse verfälscht. Für die Diagnosestellung wird bei Erwachsenen immer ein Labortest und eine Biopsie benötigt.
Labortest: Liegt ein Verdacht auf eine Zöliakie vor, kann ein Bluttest Aufschluss über entsprechende Antikörper im Blutserum geben. In der Regel sind bei einer Zöliakie Autoantikörper gegen die körpereigenen Enzyme Transglutaminase oder Endomysium nachweisbar.
Biopsie: Eine endoskopische Untersuchung mit einer Dünndarmbiopsie kann die Diagnose endgültig sichern. Im Rahmen einer Speiseröhren- und Magenspiegelung sowie der Entnahme mehrerer Gewebeproben können Experten unter dem Mikroskop typische Veränderungen der Dünndarmschleimhaut feststellen.
Gentest: Mit einem Gentest lassen sich die beiden Risikogene HLA-DQ2 und HLA-DQ8 zuverlässig bestimmen. Sind diese nicht nachweisbar, ist eine Zöliakie nahezu ausgeschlossen.
Lebenslange Ernährungsumstellung notwendig
Die Behandlung der Zöliakie erfolgt durch eine individuelle Ernährungstherapie und besteht darin, auf glutenhaltige Lebensmittel zu verzichten. Da eine Unverträglichkeit des krankheitsauslösenden Eiweißes nicht heilbar ist, müssen Betroffene eine glutenfreie Ernährung lebenslang einhalten. „Eine Ernährungsumstellung lindert bestehende Beschwerden bereits nach kurzer Zeit und senkt das Risiko für weitere Folgeerkrankungen erheblich. In den allermeisten Fällen lassen sich auf diese Weise die Symptome und Mangelzustände fast vollständig zurückbilden, auch die Wiederherstellung des Darms erfolgt unter dieser Diätform. Um eine mögliche Mangelversorgung auszugleichen, ist eine zeitweilige Supplementation bestimmter Nährstoffe nach Rücksprache mit der Ernährungsfachkraft ratsam. Bei Erstdiagnose steht einem Betroffenen eine Ernährungsberatung im niedergelassenen Bereich zu. Mit einer Notwendigkeitsbescheinigung des Arztes kann anteilmäßig eine Kostenerstattung der Krankenkassen beantragt werden“, rät Johanna Helle. Die Ernährungsberatung geht individuell auf eine ausgewogene und nährstoffadaptierte sowie glutenfreie Kost und Menüzusammenstellung ein.
Da Getreide ein Grundbestandteil vieler Lebensmittel ist, müssen im Rahmen einer glutenfreien Ernährung viele herkömmliche Speisen ersetzt werden. Alternativen zu glutenhaltigen Getreidesorten sind beispielsweise Hirse, Buchweizen, Mais, Quinoa, Reis und Amaranth. Auch viele unverarbeitete Lebensmittel wie Hülsenfrüchte, Fleisch, Fisch, Eier, Milch und Milchprodukte, Kartoffeln sowie Obst und Gemüse sind von Natur aus glutenfrei. Im Rahmen einer Ernährungsumstellung können auch nicht aromatisierte Fette oder Öle und Gewürze ohne glutenhaltige Zusätze verzehrt werden. Glutenfreie Produktlinien sind im Sortiment von Supermärkten, Reformhäusern, Apotheken oder Drogerien zu finden. Beim Lebensmittelkauf kann neben der Beachtung der Zutatenliste zur Sicherheit immer auf die Kennzeichnung „glutenfrei“ oder das Symbol der durchgestrichenen Ähre geachtet werden. In der Küche sowie bei der Zubereitung von Speisen gilt es, Kontakt zu glutenhaltigen Lebensmitteln zu vermeiden. Auch Medikamente können Gluten enthalten. Daher ist zu empfehlen, mit einem Arzt oder Apotheker über die Medikamenteneinnahme zu sprechen und gegebenenfalls auf glutenfreie Alternativen zurückzugreifen.
Weiterführende Informationen
Deutsche Zöliakie Gesellschaft e.V. (DZG)
www.dzg-online.de
Deutscher Allergie- und Asthmabund (DAAB)
https://www.daab.de/
Association of European Coeliac Societies (AOECS)
https://www.aoecs.org/