In Deutschland sind mehr als sechs Millionen Menschen von einer überaktiven Blase betroffen. Die Häufigkeit beträgt in der erwachsenen Bevölkerung circa 11 bis 16 Prozent und steigt mit zunehmendem Alter an. Frauen und Männer sind etwa in gleichem Maße davon betroffen.
Patienten mit überaktiver Blase leiden unter einem übermäßig starken Harndrang, müssen sehr häufig zur Toilette rennen und verlieren mitunter auch Urin, wenn das plötzliche Harndranggefühl einschießt. Diese Form des Urinverlustes wird Dranginkontinenz genannt. Die überaktive Blase wird auch als Reizblase bezeichnet. Etwa die Hälfte der Patienten wird in ihrer Lebensqualität beträchtlich durch eine überaktive Blase beeinträchtigt. Dabei sind circa 40.000 Stürze, 12.000 Frakturen und 26.000 Fälle von Depression auf eine überaktive Blase zurückzuführen.
Ursachen für eine überaktive Blase können eine zugrundeliegende neurologische Erkrankung – wie etwa Morbus Parkinson oder Multiple Sklerose – oder vorangegangene Operationen im kleinen Becken sein. In den allermeisten Fällen ist die Ursache aber gar nicht bekannt. Dann spricht man von einer sogenannten idiopathischen überaktiven Blase. Schätzungsweise redet nur etwa die Hälfte aller Patienten mit einer behandlungsbedürftigen überaktiven Blase aus Scham mit ihrem Arzt über dieses Thema. Dabei gibt es mittlerweile viele Therapieoptionen, um diesen Patienten zu helfen.
Therapieoptionen bei überaktiver Blase
Nach internationalen medizinischen Leitlinien werden zuerst konservative Therapiemaßnahmen, wie zum Beispiel Beckenbodengymnastik, Blasentraining oder Verhaltensmaßnahmen empfohlen. Die meisten Patienten können jedoch effektiv mit einer medikamentösen Therapie behandelt werden. Bei den verordneten Medikamenten handelt es sich um die Gruppe der Anticholinergika oder um Mirabegron, basierend auf einer neuen Wirkstoffgruppe. Obwohl modernere Medikamente deutlich reduzierte Nebenwirkungen aufweisen, setzt die Mehrheit der Patienten im Laufe eines Jahres diese Medikamente ab und bleibt somit unzureichend behandelt.
Dabei stehen heute den Patienten weitere minimalinvasive, reversible Verfahren wie die Therapie mit einem Beckenbodenschrittmacher oder die Injektion von Botulinumtoxin A (Botox) zur Verfügung, wenn mit den bisherigen Maßnahmen kein zufriedenstellendes Ergebnis erzielt werden konnte. Beide Verfahren besitzen unterschiedliche Charakteristika, sodass in vielen Fällen der Patient selbst nach seinen Vorstellungen entscheiden kann, ob er eher die Therapie mit einem Beckenbodenschrittmacher oder die Injektion mit Botulinumtoxin vorzieht.
Therapie mit einem Beckenbodenschrittmacher
Dieses Verfahren wird auch wissenschaftlich „sakrale Neuromodulation“ genannt. Mit mehr als 300.000 Implantationen weltweit gilt dieses Verfahren als sicher und komplikationsarm. „Bei diesem operativen Verfahren wird eine Elektrode unter Röntgenkontrolle an die Sakralnerven, welche Blase und Enddarm steuern, implantiert. Ein im Gesäßbereich eingepflanzter Beckenbodenschrittmacher gibt dann über die Elektrode schwache elektrische Impulse an die Sakralnerven ab, sodass die Signale des übermäßig starken Harndranges auf dem Weg zum Gehirn unterdrückt werden können“, erklärt Dr. med. Sajjad Rahnamai‘i, Oberarzt in der Klinik für Urologie und Kinderurologie an der Uniklinik RWTH Aachen. Vorteil dieses Verfahrens ist, dass sich das spätere Behandlungsergebnis gut über eine vorherige Teststimulation prognostizieren lässt.
Darüber hinaus lassen sich im Gegensatz zu Botulinumtoxin auch Darmfunktionsstörungen oder eine unteraktive Blase mit diesem Beckenbodenschrittmacher behandeln. Über eine Fernbedienung können Patienten den Schrittmacher selbst ein- oder ausschalten oder die Stärke verändern. Meist wird der Schrittmacher unterhalb der Wahrnehmungsschwelle eingestellt, sodass die Patienten die Stimulation nicht verspüren.
Obwohl der Beckenbodenschrittmacher noch weitgehend unbekannt ist, wird das Verfahren seit mehr als 20 Jahren erfolgreich angewendet. In den meisten Fällen lässt sich ein stabiles Langzeitergebnis erzielen. Der Schrittmacher muss allerdings in einem kleinen Eingriff etwa alle fünf bis sieben Jahre ausgetauscht werden. Irreversible Komplikationen oder bleibende Schäden sind bei diesem Verfahren bislang nicht beschrieben.
Injektion von Botox
„Alternativ kann eine Injektion von Botulinumtoxin A in die Blase erfolgen“, sagt Dr. Rahnamai‘i. Das Botox lähmt den Blasenmuskel und unterdrückt somit die Kontraktionen des Blasenmuskels. Es ist ein kurzer Eingriff, der allerdings oft ebenso im Rahmen einer Kurznarkose durchgeführt wird. Da die Wirkung von Botulinumtoxin im Laufe der Zeit nachlässt, muss der Eingriff alle sechs bis neun Monate wiederholt werden. Ein Harnverhalt, der einen sterilen Einmalkatheterismus erforderlich macht, tritt zwar recht selten auf, muss aber als mögliche Komplikation in Betracht gezogen werden.
Blasenschwäche auf einen Blick
Hauptsymptom der überaktiven Blase ist der plötzlich anfallsartig auftretende, kaum zu unterdrückende Drang, auf die Toilette zu müssen. Ohne Urinverlust spricht man von Reizblase.
Wenn der Harndrang nicht mehr zu unterdrücken ist und es zu Urinverlust kommt, spricht man von
Dranginkontinenz.
Die Belastungsinkontinenz (auch Stressinkontinenz) beschreibt den Urinverlust infolge einer Belastung des Bauchraums. Dies geschieht zum Beispiel beim Lachen, Husten, Niesen oder Hüpfen. Die Überlaufinkontinenz ist eine fortgeschrittene Form einer Blasenentleerungsstörung, zum Beispiel bei vergrößerter Prostata. Durch die Entleerungsstörung entsteht ein hoher Druck in der Blase, und es kommt zum unwillkürlichen Abgang kleiner Urinportionen aus der prall gefüllten Blase.
Zu einer Reflexinkontinenz kann es kommen, wenn es Störungen der Nervenverbindungen zwischen Harnblase und Gehirn beziehungsweise Rückenmark gibt.
Hilfe bei Inkontinenz erhalten Sie im Kontinenzzentrum der Uniklinik RWTH Aachen.